Lieber staatliche Abwendung als staatliche Zuwendung
Puuh, endlich mal wieder durchschnaufen. Wenn in den letzten drei Wochen jemand öffentlich über Entschleunigung oder „Corona-Ferien“ schwadronierte, dachte ich meist: Entweder lebt der auf einem anderen Planeten oder er wähnt sich auf einem unkaputtbaren Geschäftsmodell, also einem staatlich suventionierten.
Stattdessen war die nervliche Anspannung in den letzten drei Wochen bei mir extrem hoch. Das lag gar nicht an direkten gesundheitlichen Auswirkungen. Nein, die Menschen um mich rum und auch ich selber sind bis jetzt alle gesund.
Es waren auch nicht unmittelbar drohende ökonomische Konsequenzen. Nennen Sie mich old-school, aber ich wirtschafte privat wie in allen Unternehmen nach alter hanseatischer Contenance: sechs Monate ohne neuen Umsatz muss ich wirtschaftlich überleben (ok, manchmal sind es bei mir auch nur viereinhalb). So war ich beispielsweise hin- und hergerissen zwischen Mitgefühl und Kopfschütteln, als ich das Video des Hannoverschen Bäckereiunternehmers Bosselmann sah, das einige Tage viral lief: Einerseits gingen mir seine Worte zu Herzen. Andererseits suggerierte er eine anstehende Insolvenz gerade einmal dreieinhalb Wochen (!) nach den ersten Einschränkungen des öffentlichen Lebens und er selbst darf ja seine Läden nach wie vor öffnen.
Meine Anspannung hatte einen anderen Grund. Und nicht nur bei mir. Selbst wenn Sie keine schweren Erkrankungen oder Todesfälle durch das für unser Immunsystem unbekannte Virus erleben müssen: Viele von uns haben in den letzten Wochen gerade weiße Flächen auf der inneren Landkarte erkundet. Kaum einer kann mehr so arbeiten und leben wie bisher. Und wenn alle bekannten Voraussetzungen wegbrechen, muss über alles neu nachgedacht und kommuniziert werden, was vorher klar war. Und das führt zu einer dramatischen Überlastung.
Menschen können das!
Was die Reaktion der Regierungen und der Behörden auf die Pandemie anbetrifft: Einiges läuft gerade trotz vieler guten Absichten ziemlich schief. Nur ist jetzt für mich noch nicht die richtige Zeit für eine Analyse. Keine passende Zeit für Schuldzuweisungen und Kritik, das kommt später. Dafür können wir aber alle die Augen aufmachen und genau beobachten: Viele zentrale Entscheidungen und Maßnahmen der Regierungen und Behörden erscheinen nicht nur mir hilflos, unsicher und fragwürdig. Gleichzeitig gibt es unglaublich viele dezentrale, subsidiäre Initiativen und Lösungen, die unter dem Regierungsradar entstehen. Viele Leute spüren, dass sie sich gerade in dieser Ausnahmesituation nicht allein auf den Staat verlassen können. Und dann handeln sie eben selber, um die Probleme zu lösen.
Allen diesen engagierten Leuten geht es nicht darum, den Staat abzulehnen – mir auch nicht! Manche Aktionen sind sehr wirkungsvoll, manche laufen ins Leere und werden aufgegeben. Sofort entstehen aber neue Initiativen. Und genau das brauchen wir gerade, angesichts der prinzipiellen Überlastung zentraler Steuerung: Eine Evolution von Lösungen.
Anders gesagt: Dem extrem schnellen Wachstum der Epidemie und ihrer Auswirkungen bis in jeden Winkel unseres Lebens muss ein extrem schnelles Wachstum dezentraler Lösungsversuche entgegengestellt werden. Und genau das passiert. Und genau das ist es, was mich zuversichtlich macht: Ich glaube an die Problemlösungsfähigkeiten der Menschen.
Übrigens ist das eine der zentralen Thesen in meinem Buch »Zurück an die Arbeit!«: Wenn die zentral gesteuerte Organisation auf der Vorderbühne nicht funktioniert, bilden sich auf der Hinterbühne sofort informelle organisatorische Einheiten, die entweder von der Macht stillschweigend toleriert werden oder die unter dem Radar tauchen müssen – aber eben dennoch funktionieren.
So läuft das immer. Und genau das macht menschliche Gruppen so stark. Darum liegen auch immer jene Stimmen, die fordern, in der Not alle Kräfte zentral zu bündeln, meist grundlegend falsch.
Gerade wenn es schwierig wird, braucht es Pluralität. Gerade in der Not braucht es möglichst viele verschiedene Ansätze. Zum Beispiel bei der Entwicklung von Medikamenten, Impfstoffen, Testverfahren. Viele Forschergruppen entwickeln gerade auf der ganzen Welt gleichzeitig, sowohl staatliche, als auch akademische und auch private. Die Ansätze sind inhaltlich-fachlich zum Teil völlig unterschiedlich. Und genau das ist gut so. Denn in unbekanntem Terrain weiß keiner, welcher Weg am schnellsten zum Erfolg führt.
Gerade in solchen komplexen, unvorhersehbaren Situationen, wie wir sie mit aller Heftigkeit derzeit erleben, funktioniert das subsidiäre Prinzip, das Prinzip der marktlichen Allokation.
Zum Glück ist beispielsweise Gesundheitsminister Spahn gerade so überfordert, dass er nicht entscheidet, in welche eine Forschungsinitiative zentral Geld gesteckt werden muss. Denn Zentralisierung würde jetzt viel mehr schaden als nützen.
Nichtstaatliche Zuwendung
Aber Moment! Ich muss hier genauer sein. Einerseits ist der dirigistische, zentralistische Staat gerade vollkommen überfordert. Er kam mit seinen Maßnahmen vor allem mehrere Wochen zu spät. Andererseits: Einige Aufgaben des Staates müssen ja doch in zentraler Hand bleiben. Der Schutz der Bevölkerung kann in einem rein libertären Staat auch nicht funktionieren. Warum, das habe ich in meinem Buch »Der Führerfluch« eingehend beschrieben.
Eine moderne Gesellschaft braucht natürlich ein funktionierendes und krisenrobustes Gemeinwesen, wie übrigens in einem Unternehmen auch: sowohl zentrale als auch dezentrale, sowohl hierarchische als auch selbstorganisierte Lösungen.
Nur: Wo genau brauchen wir die Zentrale und wo schadet sie? Was genau muss hierarchisch geregelt werden und was sollte besser nicht herrschaftlich, über Machtausübung gelöst werden?
Eine kurze, grobe Antwort will ich Ihnen hier nicht schuldig bleiben. Sie lautet: Das Abwendende bitte zentral und mit Macht, das Zuwendende bitte dezentral und machtbefreit!
Abwendend, das ist zum Beispiel die Schulschließung, die die Gefahr abwendet, dass Schulen zu Brutstätten der Epidemie werden und massenweise ganze Familien angesteckt werden. Der Staat muss nur darauf achten, dass solche zentrale Maßnahmen schnell und effizient geschehen.
Zuwendend, das ist zum Beispiel die Art und Weise, wie Bildung ohne Präsenzschule funktioniert. Das will ich dringend dezentral organisiert wissen – viele lokale, spontane, individuelle Lösungen, viele kreative Lehrer und Schüler, viele Tools, viele Ansätze – und voneinander lernen, was am besten in dieser und jener Situation funktioniert. So etwas kann nur erprobt und iterativ weiterentwickelt werden, jedenfalls nicht zentral angeordnet werden.
Mir graut darum jetzt schon davor, dass eine Kultus- oder Bildungsministerin als nächstes Richtlinien herausgibt, wie Bildung ohne Schülerpräsenz jetzt zu funktionieren hat. Die Zentrale kann nur Gleichförmigkeit verordnen. Ich warte tatsächlich darauf, denn leider wird das passieren. Es passiert immer: Ich nenne das „Zäunreflex“: Die frei herumstreunende Herde muss eingezäunt werden! Doch gerade das wäre jetzt kontraproduktiv. Dass unser Bildungswesen föderalistisch organisiert ist, ist ja schonmal gut, aber das ist noch nicht einmal annähernd der Grad an Dezentralität, den es jetzt braucht. Alle Initiativen, die am Kultusministerium vorbeilaufen und die Probleme sofort und vor Ort lösen wollen: Sehr gut!
Also: Abwendend, zentral, schnell, mit Macht gegen Bedrohungen der inneren und äußeren Sicherheit. Das ist die Domäne des Staates, der dafür auch die individuelle Freiheit einschränken muss. So wenig wie irgend möglich.
Aber: Zuwendend, dezentral, vielfältig, für das Finden von Lösungen für Probleme und das Gestalten. Das ist die Domäne des Bürgers, der dafür möglichst viel individuelle Freiheit benötigt. So viel, wie irgend möglich.
Darum habe ich auch das größte Unbehagen bei der Zunahme der marxistischen, sozialistischen Lösungsversuche, die in diesen Tagen immer mehr ins Kraut schießen: Jetzt ist die Zeit fürs Grundeinkommen! Jetzt ist es Zeit, den gierigen Kapitalismus abzulösen! Jetzt ist es Zeit die Reichen zu enteignen! – Ganz erstaunlich. Denn so würde ja offensichtlich versucht werden, das Feuer mit Öl zu löschen.
Ich könnte auch sagen: Fair enough, ich habe nur eine ganz andere Meinung: Marxismus ist wie ein Virus. Er greift an Schwachstellen an und wirkt dann zerstörerisch.
Angepackt!
Was Sie übrigens diesmal hier nicht lesen, ist ein offener Brief. Ich habe mich entschlossen, darauf zu verzichten. Denn durch den Krisenmodus sind alle Verantwortlichen eh gerade heillos überlastet. Welcher Adressat wäre jetzt gerade interessiert, einen Brief vom Vollmer zu lesen?
So etwas lohnt sich wieder, wenn wir aus dem Gröbsten raus sind und dann genauer analysieren können. Derzeit haben wir das Gröbste vermutlich noch vor uns.
(Wenn Sie trotzdem schon jetzt Lust auf Analyse haben: Im November habe ich sie bereits geliefert: In meinem Buch „Der Führerfluch – Wie wir unseren fatalen Hang zum Autoritären überwinden“ steht genau drin, warum die Zeit des Gehorchens vorbei ist, warum die alten autoritären Systeme nicht mehr funktionieren und wie wir uns stattdessen organisieren können.)
Also: Worüber ich mich gerade so freue und was mir Zuversicht verleiht, sind die Lösungen auf der gesellschaftlichen Hinterbühne. Ich stelle Ihnen darum hier einige vor. Kurz und Knapp. Mir geht es nicht um Werbung für bestimmte Initiativen, es ist mehr eine zufällige Auswahl unter den unzähligen. Klicken Sie selbst:
1. „Bei Herstellern von Desinfektionsmitteln wird Ethanol knapp: Einige Spirituosenhersteller wie Jägermeister und Diageo helfen. Die Bremer Beck’s-Brauerei produziert Desinfektionsmittel gleich selbst.“
Und: https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/panorama/hagen-brennerei-schenkt-apotheke-alkohol/
2. „Wer zu Hause bleibt, braucht keine neue Kleidung. Das haben auch große Unternehmen wie Prada und H&M festgestellt und produzieren jetzt Schutzkleidung.“
3. „Immer mehr Menschen, die in der 3D-Branche tätig sind, entwickeln Tools, welche gegen die Ausbreitung des Coronavirus von Nutzen sind. Unter dem Namen „OpenLung“ soll ein OpenSource Beatmungsgerät entstehen, dessen Einzelteile mithilfe des 3D-Drucks hergestellt werden können.“
https://www.mission-additive.de/open-source-beatmungsgeraet-aus-dem-3d-drucker-a-919207/
4. In einem „Hackathon“ denken zehntausende Menschen in einem digitalen Raum über Lösungen zu den Problemen nach, die die Coronakrise aufgeworfen hat.
https://airtable.com/shrs71ccUVKyvLlUA/tbl6Br4W3IyPGk1jt/viw7AlEju6qFtXJqL (cooler Link, oder? Können sich wohl auch nur Hacker ausdenken…)
5. Ein Spendenaufruf für Freelancer, die möglicherweise gerade nicht wissen, wie sie ihre Stromrechnung – oder was auch immer – bezahlen sollen:
6. „McDonald’s Deutschland unterstützt in der Corona-Krise ALDI Nord und ALDI SÜD. Mitarbeiter, die durch eingeschränkten Restaurantbetrieb betroffen sind, werden dabei schnell und unbürokratisch an die Discounter vermittelt.“
https://www.presseportal.de/pm/52942/4552964
7. „Ein paar Studenten haben die „Corona School“ gegründet, um Schüler ehrenamtlich beim Lernen zuhause zu unterstützen.“
8. Eine Gruppe von selbstständigen Microsoft-Partner und IT-Unternehmern haben „Teams macht Schule“ initiiert, stellen Schulen eine Kollaborationsplattform zur Verfügung und machen sie damit vertraut, um virtuelle Wissensvermittlung möglich zu machen.
https://www.teamsmachtschule.de
9. Und dann sind da natürlich die zahllosen Mundschutz-Näh-Initiativen, z.B. stellvertretend die hier:
https://www.saechsische.de/plus/dresden-uniklinik-findet-mundschutz-loesung-5184683.html
10. „Wissenschaft hilft in der Krise: Labor der Universität Konstanz unterstützt bei Corona-Diagnostik.“
Wenn Sie auch lokale, dezentrale, subsidiäre Initiativen kennen. Erzählen Sie den Leuten in Ihrem Umfeld davon! Und vielleicht haben Sie ja selbst eine Idee. Dann packen Sie’s doch einfach an. Jetzt ist die richtige Zeit dafür!
Die nächste Ausgabe von »Vollmers Waschtag« erscheint schon bald. Wenn Sie über das Erscheinen informiert werden möchten, so melden Sie sich bitte hier unten mit Ihrer E-Mail Adresse zu der Benachrichtigungsliste an – Sie erhalten dann bei jeder Ausgabe einen kurzen Hinweis.
ilseluise
8. April 2020 at 11:40Nun wäre ich noch gespannt über Ihre Ideen und Ausführungen zu all den Menschen und Menschengruppen, die grad total unter die Räder kommen:
die Alten, egal wo, aber besonders die in den Heimen, wo sie jetzt eingesperrt sind
die Behinderten, denen es genauso ergeht
die Kinder aus sozial-schwachen Familien, ohne besondere Fürsorge, mit Eltern, die nicht mal eben mit Hilfe von Internet-Angeboten zu kompetenten LehrerInnen ihrer Kinder werden
die Patienten mit „normalen“ Krankheiten, denen Behandlung und Reha wegbricht
… … …
sicher fällt Ihnen noch mehr ein …
wie die Frauen und Kinder in Gewaltfamilien, mit Missbrauch, Gewalt und Sucht
sie alle brauchen dringend und weiter „echte“ Menschen – und kein distancing, da sie noch weiter abhängt, als sie es ohnehin schon sind
Lars Vollmer
8. April 2020 at 12:22Liebe ilseluise,
ich nehme die Situation für die von Ihnen erwähnten Menschen genauso wahr wie Sie: einengend, konfliktaufbauend, gewaltfördernd, vereinsamend und vieles mehr. Dieses Dilemma, dass viele Menschen in der Krise nach Nähe suchen und diese gleichzeitig unterbunden werden muss, lässt sich auch nach meiner Einschätzung gerade nicht befriedigend auflösen – hoffentlich bald.
Umso bemerkenswerter finde ich all die privaten Initiativen, die derzeit entstehen, um die Situation abzumildern. So ist mir beispielsweise zu Ohren gekommen, dass in manchen Altersheimen derzeit Computer oder iPads mit Videokonferenzsoftware von Privatleuten zur Verfügung gestellt und aufgebaut werden, damit die Bewohner jedenfalls auf diesem Wege Kontakt zu Ihren Liebsten halten können. Das löst weder das pandemische Gefahrenpotenzial in den Heimen noch die psychischen Schwierigkeiten der Isolierung, aber meines Erachtens kann es jedenfalls Linderung bewirken. Und es geht rasend schnell. Solche Beispiele meinte ich, als ich für den Artikel den Satz schrieb: „Und genau das ist es, was mich zuversichtlich macht: Ich glaube an die Problemlösungsfähigkeiten der Menschen.“
Christoph Betz
8. April 2020 at 11:45Lieber Herr Vollmers, seit längerem verfolge ich die Gedankengänge und den Waschtag mit großem Interesse, leider mit abnehmender Freude. In meiner Wahrnehmung beginnen die Denkweisen öffnenden Quersichten einem sich mehr und mehr einengenden Predigerton zu weichen. Das Mantra lautet: die Welt ist komplex, Systeme sind komplex und die einzig richtige Herangehensweise ist es den Markt richten zu lassen. Und innerhalb des Marktes es denen zu überlassen, die auf der Hinterbühne die richtige Arbeit machen.
Dem zweiten Teil kann ich mit ganzem Herzen folgen, dem ersten nur bedingt.
Eine Äußerung in Ihrem Artikel hat mich jetzt dazu motiviert, meinen zunehmenden Unmut zu teilen. Ich denke es ist nicht vielen Menschen vergönnt, sich Rücklagen zu bilden die erlauben 4-6 Monate ohne Aufträge überstehen zu können. Alleine in meinem Umfeld sind viele Selbständige, insbesondere auch im Gesundheitswesen, deren Rücklagen trotz sparsamen Lebens nur für maximal 2 Monate reichen. Sie werden jetzt einwenden – und das ist ein neuer Ton im Waschtag – genau diese Schwierigkeiten soll der Staat ja abwenden. Nur kann dies nicht auch als Zuwendung betrachtet werden?
Ich denke, es ist tatsächlich komplex und es gibt nicht die einzig richtige Antwort. Und genau da machen Sie es sich aus meiner Sicht in der jüngeren Vergangenheit zu einfach. In dem Sie das Paradoxon eröffnen, die Welt ist komplex und für den Umgang mit einer komplexen Welt gibt es nur einen richtigen Umgang. Ich bin überzeugt, auch der Staat als Teil des Systems kann und muss Teil der Lösung sein. Eine Einteilung in Zuwendung und Abwendung ist aber zu trivial. Es wird Versuche des Staates geben, z.B. Föderung der Entwicklung von Corona Impstoffen, die erfolgreich sein können oder scheitern. Das lässt sich nicht vorhersagen und das Risiko muss jetzt dennoch eingegangen werden.
Und über das Grundeinkommen könnte ich auch noch seitenweise weiter schreiben. Das erlaube ich mir, auf ein anderes Mal zu vertagen. Zu komplex für heute…
Lars Vollmer
9. April 2020 at 09:01Lieber Herr Betz,
mit Ihrer Beobachtung, dass ich Selbstorganisation als überlegenes Organisationsprinzip zum Umgang mit komplexen Situationen ansehe, und das diese Denkfigur ein zentrales Element meiner Publikationen ist, liegen Sie völlig richtig. Wie sollte es auch sonst gelingen? Zentralorganisationen – egal ob in Wirtschaftsunternehmen oder in der Gesellschaft – sind dazu sowohl in Theorie als auch in empirischer Praxis offensichtlich nicht in der Lage. Es sei denn, die Hinterbühne funktioniert wie geschmiert.
Und gleichzeitig spreche ich mich nicht gegen den Staat aus, so wie es beispielsweise manche libertäre Ansätze tun. Also wo liegt die richtige Balance aus Individualismus und Kollektivismus? Eine ziemlich alte Frage, bei der wir beide womöglich unterschiedliche Standpunkte vertreten – fair enough.
Stephen
10. April 2020 at 17:09Hallo Lars,
also, ich verfolge jetzt schon einige Zeit die Gedankengänge und den Waschtag, habe die Bücher gelesen und finde es immer wieder spannend. Ich wollte auch immer schonmal meine Sicht aus der Beobachtung und tagtägliche Erfahrung schildern.
Natürlich kann ich nicht immer Deiner Meinung sein (liegt vielleicht in manchen Punkten auch am Verständnis) aber darum geht es auch nie.
Ich teile die grundsätzliche Ansicht der Zu-, und Abwendung. Aber der Mensch an sich ist gar nicht in der Lage dies zu erfassen / umzusetzen!
Ich glaube es war in Deinem Gespräch mit Mark – es ging um das Lernen aus dieser Krise.
Der Mensch – als Unternehmer, Politiker, Arbeitnehmer, usw. will gar nicht daraus lernen (bis auf ein paar Ausnahmen). Es wird sich davor gescheut wie vor dem ersten Automobil oder der Eisenbahn – Teufelszeug, nicht Gott gewollt. Wir sind und bleiben ein Herdentier – ja auch Arschlochgesellschaft. Die techn. Errungenschaften wie das Handy – diese Technik hätte 1970 keiner angenommen.
Und so ist es aktuell – beweisbare Funktion von der Abkehr des bisher in Stein gehauenen Prozessen, Abläufen wird man nach der „Ausnahmesituation“ wieder verwerfen. Man wird zurückfallen in das gewohnte, vertraute und behütete.
Es wird durch den Mensch nicht weiter gedacht. Wenn zentral eine Abwendung umgesetzt wird, muss z. B. dem Staat als auch dem Bürger klar sein, das der Bürger die nächsten Schritte gehen muss und kann (dieses Können muss der Staat ermöglichen). Um es mal bildlich zu sagen: die Tür kommt vom Staat, der Bürger benötigt aber auch die Klinke zum durchgehen – diese Möglichkeit muss der Staat geben, entweder durch Beistellung oder der Freiheit das sich jeder wie ihm beliebt die Tür durchschreitet.
Ich bezweifle das der Mensch in 2000 diese Freiheiten erkennt, einfordert oder umzusetzen weiß.