Was lange währt, wird endlich schlecht
Ganz Katalonien war sehr bekümmert. Ganz Katalonien? Nein, ich war ja mittendrin und ich war weder bekümmert noch sonderlich erstaunt über die vernichtende Niederlage, die die stolze katalonische Armee namens FC Barcelona unter ihrem machtlosen General Lionel Messi gegen die bayrische Übermacht des FC Bayern München erlitten hatte.
Es war der Abend des 14. August 2020, Barça hatte gerade in Lissabon im Viertelfinale der Champions League 2:8 gegen die Bayern verloren. Und damit war eine Ära zu Ende. Der Umbruch in Barcelona war endlich unvermeidlich geworden. Diese Niederlage hatte historische Ausmaße und berührte die Volksseele ganz tief im Innern, wie es eben auch das Wesen des Fußballs ist – das konnte ich in den Gesichtern um mich herum lesen (weswegen ich die Kriegsmetaphorik hier auch für passend halte).
Ich erlebte das Spiel in meiner Lieblings-Pintxo-Bar Golfo de Bizkaia direkt bei der Basilica de Santa Maria del Mar im Hafenviertel El Born von Barcelona. Die haben dort immer eine große Leinwand, so dass man selbst in Corona-Zeiten mitten unterm Volk Fußball schauen kann, so wie es halt am schönsten ist. Nebenher aß ich Pintxos, das ist die baskische Version der Tapas. Jeder Pintxo wird mit kleinen Holzspießchen zusammengehalten. Ihr esst, soviel ihr Lust habt und am Ende werden die leeren Spießchen gezählt, die ihr auf dem Teller habt, und das ergibt die Summe, die ihr dem Wirt bezahlt. Gerne trinkt man Xakoli dazu, einen leicht moussierenden Weißwein, der mit viel Pathos und aus großer Höhe in das Glas geschüttet wird.
Ich bestellte ein Bier, aß Pintxos, guckte und bildete mir ein, dass Hansi Flick, der schlaue Trainer der Bayern, es schon vorher gewusst hatte. Denn von außen besehen war die katalonische Festung bereits seit Monaten sturmreif. Barça war ein System, das zwar gerade noch heilig, aber schon lange nicht mehr überzeugend war. Selbst fortgeschrittene Fußball-Laien wie ich konnten das sehen. Die ganze Saison war äußerst unsouverän und ohne Titel verlaufen. Es lag nicht alleine daran, dass Messi vom Lebensalter her im Fußball-Herbst angekommen ist. Das System Barça insgesamt war anfällig geworden, fragil, bröckelig. Wie das eben so ist mit den Erfolgsrezepten von gestern.
Das gilt ja auch für Unternehmen, ganze Wirtschaftszweige, gesellschaftliche Systeme wie das Finanzsystem oder das politische System eines Landes: Je länger die Akteure oder die Kollektive an dem einst gefundenen Erfolgsrezept festhalten, je heiliger das System gesprochen wird, dem der Erfolg von gestern zugeschrieben wird, desto anfälliger wird das Gebilde, wenn sich die Erde ein paar Mal um die Sonne weitergedreht hat. Denn die Umwelt des Systems verändert sich. Unweigerlich. Und wenn das System selbst erstarrt, während das Äußere sich dynamisch wandelt, passt Innen und Außen irgendwann nicht mehr so gut zusammen. Dann ist die einst entstandene Ordnung im Innern kein passender Schlüssel mehr, um die Komplexität im Außen zu beherrschen.
Stabilität kommt von Statik und Flexibilität im Wechsel und Zusammenspiel. Gesellschaftliche Systeme brauchen einerseits konservatives Festhalten am Bewährten, andererseits progressives Voranschreiten und das Entdecken und Ausprobieren des Neuen. Beides. Gleichzeitig.
Lionel Messi war einer der Faktoren für den grandiosen Erfolg des FC Barcelona in den vergangenen Jahren. Er war mal der beste und ist auch jetzt immer noch einer der besten Spieler der Welt. Da gibt es kaum Zweifel. Aber der ganze Kontext, in dem er der Beste sein konnte, die Mitspieler, die Trainer, der Club, das Spielsystem, das sollte genau so bleiben wie es war. Es blieb aber nicht so wie es war. Der Versuch, daran festzuhalten, war zum Scheitern verurteilt. Alles, was uns Menschen heilig ist, wird früher oder später zum Auslaufmodell.
Heilige Kühe
So, jetzt wechsele ich mal das Spielfeld, spanne die Metapher bis zum Äußersten und lehne ich mich ganz weit aus dem Fenster: Der Messi der Bundesrepublik Deutschland ist das Grundgesetz. Auf dem Grundgesetz fußt unser politisches System. So wie Messi ist dieses System auch heute noch kein Loser. Es ist nach wie vor herausragend gut. Es hält die Republik nach wie vor zusammen. Aber wir brauchen eben nicht nur innere Stabilität, sondern auch Flexibilität gegenüber äußeren Veränderungen. Jeder, der das verstanden hat, muss alarmiert sein, wenn unser politisches System nicht ständig überprüft und angepasst wird, wenn nicht ständig darüber diskutiert und debattiert wird.
Das politische System ist sakrosankt in Deutschland, es ist undebattierbar geworden. Obgleich es ursprünglich weitsichtig als Provisorium erdacht und verabschiedet wurde. Und es wurde auch in den Anfangsjahren tatsächlich maßgeblichen Anpassungen unterzogen, so wurde zum Beispiel 1953 die Fünf-Prozent-Klausel in das Wahlrecht eingefügt.
Heute gilt eine ernsthafte Debatte über Elemente unseres politischen Systems und über zentrale Elemente des Grundgesetzes zumindest als Frevel, in manchen Kreisen sogar als Verrätertum. Stellt ihr zum Beispiel Aspekte der Parteiendemokratie in Frage, kritisiert ihr den Umgang der Regierung mit Grundgesetzartikeln oder wollt ihr – ergebnisoffen – über Auslegung und Verteidigung von individuellen Grundrechten diskutieren, müsst ihr damit rechnen, pauschal als „Feind“ der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gebrandmarkt zu werden oder gar in die Reichsbürgerecke gestellt oder in den braunen Sumpf getunkt zu werden.
In der Presse und im zwangsfinanzierten Rundfunk wird derzeit zwischen „normalen“, „guten“, „demokratischen“ Menschen einerseits und Verschwörungstheoretikern andererseits unterschieden – es findet aber keinerlei Differenzierung dieser Lager bei unterschiedlichen Aspekten und Themen der Debatte statt. Diese Differenzierung wird ausgehebelt, indem jeder, der in diesen grundsätzlichen Punkten nicht die offizielle Meinung vertritt, öffentlich als Feind des Landes, als Demokratiefeind oder gar als Fall für den Verfassungsschutz markiert wird.
Dieser Dogmatismus aber ist das Gegenteil dessen, was die Väter des Grundgesetzes wollten. Denn es ist das Gegenteil von „freiheitlich“ und „demokratisch“.
Die Absicht hinter der Heiligsprechung des Grundgesetzes ist so klar wie verständlich: Ihm wird die Schlüsselrolle für den Erfolg der ersten Jahrzehnte nach dem Krieg zugeschrieben. Es gilt als Erfolgsrezept. Also soll daran gefälligst auch nicht gerüttelt werden! Und es wird auch nicht gerüttelt. Gleichzeitig würde jedoch niemand behaupten, dass die 2020er Jahre noch so ticken wie die 1960er Jahre. Dennoch glauben die meisten, dass das politische System, das sich in den 1960ern sehr bewährt hatte, deswegen auch in den 2020ern hervorragend funktionieren müsse. Was komplett realitätsfern ist.
Anfangs sah es nach sofortigem Abschied aus, aber nun bleibt Messe in Barcelona. Vorerst. Am liebsten hätte ich, dass er noch ein paar Jahre weiterspielt. Und am liebsten hätte ich genauso, dass das Grundgesetz erhalten bleibt. Ich mag an dieser Verfassungsvariante das Unfertige, das Provisorische, das Nüchterne, das Undogmatische, das Unideologische. Gerade das finde ich erhaltenswert. Damit das aber gelingt und Deutschland wieder erfolgreicher wird, wird sich vieles an unseren Systemen ändern müssen. Genauso wie sich beim FC Barcelona vieles wird ändern müssen.
Nein, ich bin kein Verfassungsrechtler, ich bin kein Grundgesetz-Experte. Mir geht es alleine darum, dass es debattierbar bleibt. Oder besser: Dass es wieder debattierbar wird! Ich will, dass es selbstverständlich zum gesellschaftlichen Repertoire gehört, tabulos auch grundlegend über das politische System zu diskutieren, ohne dass ihr oder ich dabei die Sorge haben müssen, diffamiert zu werden. Übrigens sollten nicht ausgerechnet überwiegend jene öffentlich diskutieren, die momentan von diesem System profitieren … Solche Fragen wären eine Sache der Bürger, nicht der Berufspolitiker, jedenfalls solange wir in einer Republik leben wollen.
Wir werden ja ohnehin eines Tages über unsere politische Ordnung neu diskutieren müssen. Das lehrt die Geschichte. Aber wenn das tabuisiert war, werden wir kein kommunikatives Repertoire haben, wenn es drauf ankommt. Es wird uns die Übung darin fehlen und wir werden das mühsam über eine ganze Generation hinweg neu lernen müssen.
Der bundesrepublikanische Mythos
Die Undiskutierbarkeit der Heiligtümer betrifft auch andere Subsysteme der Gesellschaft. Nehmen wir mal die heilige deutsche Automobilindustrie. Das Narrativ, die Autoindustrie sei die zentrale Stütze der deutschen Wirtschaft und müsse deshalb samt Arbeitsplätzen unbedingt erhalten werden, halte ich ebenso für ein gefährliches Dogma.
Oder die Erzählung, die wir uns immer wieder selbst erzählen, die deutsche Infrastruktur sei so überlegen. Das stimmt einfach nicht mehr. Wir sind zwar noch nicht Tabellenletzter, aber jedenfalls im Weltmaßstab nach einem lang andauernden Abstieg mittlerweile weit abgeschlagen. Dennoch wollen wir Deutschen kaum glauben, wie gut das Internet, der Mobilfunk, die Autobahnen oder der Schienenverkehr anderswo sind – im Vergleich mit Deutschland, wo man sich stattdessen mit ideologischen Tempo-130-Debatten aufreibt.
Deutschland ist schon lange nicht mehr Platz 1. Aber wir Deutschen starren auf den Mythos, denn wir haben uns angewöhnt, dass an unserem Wesen die Welt genesen solle. Wir erzählen uns beispielsweise, wir seien von allen Ländern am besten durch die Corona-Krise gekommen. Dabei stimmt auch das objektiv betrachtet einfach nicht.
Genauso erzählen sich die Fußballfans in Barcelona, die Nachwuchskaderschmiede La Masia, die einst auch Messi und viele andere Barça-Stars ausgebildet hatte, sei der beste Talentschuppen der Welt. Aber das stimmt einfach nicht mehr. Während La Masia heute kaum mehr einen erfolgreichen Fußballer hervorbringt, wird möglicherweise gerade in Lyon oder im Breisgau ein neuer Weltfußballer entwickelt. So werden Geschichten zu Legenden und Mythen verklärt, erstarren … und vergehen.
Dabei ist so eine gewisse Nostalgie, so eine süße Romantik gar nicht so verkehrt. Traditionen bewahren, sich Rückbesinnen auf das Alte, das Gute, das individuelle Gefühl, sich am Erfolg von gestern zu laben und stolz die alten Geschichten weitererzählen …. das hat schon was.
So wirklich habe ich Messi damals wahrgenommen, als er vor fünf Jahren beim Champions-League-Halbfinale die Bayern komplett gegen die Wand gespielt hatte, als er Jerome Boateng einfach im Strafraum durch seine Körpertäuschung umfallen ließ, als er Manuel Neuer mit einem federleicht gechippten Ball überwand, als Barça die Bayern 3:0 wegputzte, als Messi aus neun Ballkontakten in der Schlussviertelstunde zwei Tore und eine Vorlage machte.
Ich war fasziniert. Und ich erzähle diese Geschichten immer wieder gerne. Ich will nämlich gar nicht mit dem Alten brechen. Es war fantastisch. Aber während ich mich am Glanz der Vergangenheit erfreue, weiß ich doch gleichzeitig ganz genau: Jetzt braucht es etwas komplett anderes! Oder um es etwas verklärter auszudrücken: es muss anders werden, wenn es weiterhin gut bleiben soll.
Darum können wir uns in Deutschland doch gerne am Erfolg der alten Bonner Republik laben, wir können uns daran erinnern und uns davon erzählen, wie prosperierend die Gesellschaft über eine Generation hinweg war, wie genial der Entwurf des Parlamentarischen Rats 1949 war, wie klug die ersten Kanzler Adenauer und Erhard die Wirtschaft ins Laufen bekamen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab uns das Grundgesetz erstaunliche Stabilität, wir entwickelten eine erwachsene Debattenkultur, was nach der totalitären ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eigentlich verblüffend und viel besser war als in anderen Ländern. Es gab klare Unterschiede in den großen politischen Lagern Schwarz und Rot, es wurde hart gestritten, aber gleichzeitig gab es einen Grundkonsens, der alle zusammenhielt. Eine einzigartige Atmosphäre. Doch die ist vorbei. Die klar unterscheidbaren großen politischen Lager gibt es nicht mehr und auch keinen Grundkonsens. Hart aber fair gestritten wird auch kaum mehr, dafür ausgegrenzt, verletzt, desavouiert, diffamiert und gehetzt.
Jetzt ist eben vieles anders. Egal, wie es so gekommen ist, jetzt müsste etwas anderes her. Jetzt bräuchten wir einen Umbruch. Jetzt bräuchten wir eine Debatte über Grundsätzliches. Eigentlich.
Aus der Asche
Dabei geht es keineswegs darum, die Akteure zu kritisieren oder auszuwechseln. Das wäre wohlfeil und ziemlich langweilig. Und das ändert nichts an den Strukturen der Machtverhältnisse, der Zusammenarbeit, der Organisation und des ganzen Rahmens unserer staatlichen Ordnung.
Wir hatten eine Ordnung für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, aber nun müssen wir eine neue Ordnung für das 21. Jahrhundert finden. Dabei kann man gar keine „neue Ordnung“ schaffen, die neue Ordnung erschafft sich selbst. Keiner spaltet das Land – das Land spaltet sich. Niemand kann es vereinen – es vereinigt sich. Niemand tut es. Es wird.
Die Ordnung entwickelt sich aus Einzelmaßnahmen, Interventionen und punktuellen Veränderungen. Das kann niemand auf dem Reißbrett vorwegdenken und niemand muss glauben zu wissen, was es genau dazu braucht: Niemand kann eine neue politische Ordnung auf der grünen Wiese aus dem Boden stampfen, man kann lediglich über entscheidbare Maßnahmen reden und nachdenken.
Im Erfolg liegt die Saat des Niedergangs. Aber in der Niederlage liegt auch die Saat des Erfolgs. Ein zerstörter Mythos kann die Grundlage für einen neuen Aufstieg bieten. Auch wenn es Jahrzehnte dauern kann. Dabei gibt es kein Wissen darüber, was zum Erfolg führt. Ihr irrt euch voran. Irgendwann habt ihr Erfolg. Ihr könnt dann versuchen, den Erfolg zu beschützen. Und genau damit zerstört ihr ihn wieder.
Es ist immer nur ein Wurf. Es gibt keine stabilen Ordnungen. Wir erzählen sie uns lediglich. Wir sehen ein Muster, wir bauen eine Geschichte daraus und erzählen sie uns. Dabei war das doch nur ein kontingenter Einzelzustand. Ein Moment. Es hatte sich so ergeben.
Mehr ist das nicht.
Als ich nach dem Spiel heimging, war die Stadt unfassbar ruhig. Ich sah viele traurige Menschen davontrotten. Die Katalanen sind so eine gewisse Opferhaltung ja ein wenig gewöhnt. Meine Enttäuschung hielt sich in Grenzen, ich hatte schon vorher darauf getippt, dass die Bayern gewinnen. Wobei ich niemals gedacht hätte, dass es so deutlich wird. Insgeheim dachte ich während des Spiels immer, dass jederzeit nochmal so ein goldener Messi-Moment kommen könnte. Aber ich erinnere mich gar nicht, dass der überhaupt mal am Ball war.
Am Tag danach war ein nationaler Feiertag. Da war die Stimmung fast noch schlimmer. Ich war mit meiner Tochter am Strand. Ganz Katalonien war sehr bekümmert.
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Dr. Wolfgang Menzel
23. September 2020 at 13:36Hi Lars,
alles richtig. Aber die Diskussion kommt mir doch sehr provinziell vor. Habe gerade in meiner Lieblingszeitung NZZ über die Aktivitäten der Chinesen in der UNO gelesen. Das Grundgesetz habe ich mir kürzlich auch mal zu Gemüte geführt. Meine Jungs haben viele Fragen dazu!
Aus meiner Sicht gehört das Verhältnis zu Europa darin dringend geregelt. Auch das zu anderen Nationen. Haben Nationen, die Fluchtbewegungen verursachen, ein Recht auf Nichteinmischung in innere Angelegenheiten? Ich meine nein, wenn andere darunter leiden. Die Flüchtlinge inklusive natürlich. Das ist ein Beispiel. Ich bin Konsument. Bezahle ich damit Verstöße gegen Menschenrechte in anderen Nationen? Mit Sicherheit! Das Grundgesetz ist also scheinheilig geworden mittlerweile. Etwas verkürzt dargestellt hier natürlich. Aber das der Planet immer kleiner wird, sollte eine Rolle spielen. Unabhängige Nationen sind eine Illusion mittlerweile. Die Nationen, die vordergründig nach Unabhängikeit streben, streben tatsächlich danach, andere Nationen abhängig zu machen.
Dr. Wolfgang Vieweg
7. Oktober 2020 at 14:23Hallo Wolfgang,
das sehe ich genauso, dass unabhängige Nationen schon immer ein Konstrukt waren. Dass da etwas klemmt, merkt man zunehmend deutlicher, desto kleiner der Planet wird, wie Du schreibst. Das gilt es, in der Tat, irgendwie/-wo zu beachten.
Aber, ob das zum Inhalt unserer Verfassung gemacht werden könnte, bezweifele ich als Nicht-Experte. Eine Verfassung beschreibt/regelt m. E. das, was uns selbst im Inneren zusammenhält. Beschreibt, wie wir gerne sein, wie wir uns selbst verstehen und wie wir miteinander umgehen wollen/sollen. Beschreibt, wie unser Land im Innern tickt.
Die Außenbeziehungen unseres Land und die (formellen wie auch die faktischen) Abhängigkeiten hingegen wären m. M. n. an anderer Stelle (?) zu thematisieren und explizit zu machen. Ob es sinnvoll wäre, das alles transparent zu machen und festzuschreiben…? Welche Wirkungen solche Festlegungen über unser eigenes Land hinaus hätten, stünde dann wohl noch auf einem ganz anderen Blatt.
LG Wolfgang
Dr. Wolfgang Vieweg
7. Oktober 2020 at 17:35Hallo Lars,
von Dir wiedermal ein superguter Beitrag, zu einem allerdings nicht neuen Phänomen: Das größte Hemmnis für den künftigen Erfolg war schon immer der Erfolg von gestern. Aber Du hast es großartig in die Barça-Story verpackt. Dank dafür.
Weil Du recht hast, sollte man sich zum Beispiel angewöhnen, alle Verträge, die der Mensch so braucht, einmal im Jahr zu checken und sie nicht einfach (automatisch) zu verlängern, auch wenn sie bislang keine Probleme gemacht hatten – insbesondere alle Versicherungs-, Strom- und Handyverträge; dabei sind natürlich die Kündigungstermine und -fristen zu beachten.
Zum Grundgesetz: Ganz klar, auch unser Grundgesetz ist Menschenwerk. Und wenn es die richtigen Menschen wollen, lässt sich auch dies ändern und an neue Erfordernisse anpassen. Richtig, wir sollten das GG nicht nur on Demand anpassen, sondern routinegemäß z. B. alle 5 Jahre mal kritisch durchsehen. Hierfür sollte man einen entsprechenden Parlamentsausschuss einrichten.
Aktuell sollte man zudem das Leitprinzip der Nachhaltigkeit und die Generationengerechtigkeit als zusätzliches Staatsziel ranggleich zum Sozial- und Rechtstaatsprinzip im GG verankern; etwa als einen neuen Artikel 20b GG. Schon 2006/2007 gab es eine dies betreffende parteiübergreifende Initiative von mehr als 100 MdBs. Diese GG-Ergänzung wurde damals nach intensiver Debatte in die Ausschüsse verwiesen… und ist dann verrieselt. Es wäre erneut an der Zeit! Heute noch mehr als vor 14 Jahren!
Und noch ein Beispiel, das zu Deinem Waschtag Nr. 18 passt: Die Soziale Marktwirtschaft… war eine riesige Erfolgsstory für Deutschland, mit Wirkung weit über unser Land hinaus. Sie ist keineswegs gescheitert und müsste deshalb durch etwas anderes ersetzt werden. Aber sie ist über die Zeit, seit den Ölkrisen Anfang der 1970er Jahre, spätestens seit Rio 1992 zu eng geworden. Die Soziale Marktwirtschaft wäre unbedingt, damit unser deutsches Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell zukunftsfähig aufgestellt würde, um die Belange der Nachhaltigkeit, der Umwelt und des Klimaschutzes zu einer Nachhaltigen Marktwirtschaft zu erweitern. So wie vor gut 70 Jahren erfolgreich die widerstreitigen Sphären von Kapital und Arbeit in der Sozialen Marktwirtschaft miteinander ‚versöhnt‘ wurden, sollten jetzt auf der Basis derselben genialen Grundidee Kapital, Arbeit und das Ökologische zur Nachhaltigen Marktwirtschaft ‚irenisch‘, d. h. friedvoll, miteinander verbunden werden.
Keine Sorge, damit würden keine sozialen Errungenschaften verraten, sondern alles, was in der Sozialen Marktwirtschaft richtig und gut war, bleibt fortan auch in der Nachhaltigen Marktwirtschaft richtig gut. Aber, was nicht nachhaltig ist, kann auch nicht wirklich sozial sein. Nur ein nachhaltiges Wirtschaften dient dem Menschen, dient uns allen. – Hier besteht ein uns alle angehender Bedarf für eine dringende Fortentwicklung einer ehemaligen Erfolgsgeschichte, …wie Du dies in Deinem Beitrag so treffend aufgespießt hast.