Weil Leistung eben nicht gleich Leistung ist

Lars Vollmer

Wie fatal ist das denn? Offensichtlich sind nicht einmal Weltkonzerne wie Microsoft davor gefeit, sich unzeitgemäßen Überlegungen zu unterwerfen. Da hat der Software-Gigant doch tatsächlich ein Add-on für Microsoft Office auf den Markt gebracht, das sich »Workplace Analytics« schimpft. Besagtes Produkt analysiert, wie viel Zeit ein Mitarbeiter auf das Schreiben von E-Mails oder in Besprechungen verwendet. Erträumtes Ende vom Lied: Die Führungskräfte sollen so ihre Prozesse optimieren und die Produktivität und Motivation ihrer Teams erhöhen können. Nettes Spielzeug. Allerdings herzlich unbrauchbar und toxisch.

Dass ein Vorgesetzter durch diese Datenauswertung nur der Illusion verfällt, die totale Überwachung und Kontrolle über sein Team zu haben, davon möchte ich hier gar nicht erst anfangen. Dass dem Ganzen vor allem aber auch ein ganz zentraler, noch aus dem Fabrik- und Industriezeitalter stammender Denkfehler zugrunde liegt, scheint beim IT-Riesen bisher nicht angekommen zu sein. Dabei sollte längt klar sein: »Leistung = Zeit« war vorgestern.

Der gute, alte Henry

Natürlich gibt es noch Jobs, auf die diese einfache Gleichung anwendbar ist – vorne schnell Teile rein, damit hinten schnell viele fertige Teile wieder rauskommen. Algorithmische Produktion am laufenden Band à la Henry Ford. Und natürlich mag hier eine Vergütung der Leistung durch Akkordlohn noch Sinn ergeben. Allein derlei Tätigkeiten werden immer seltener. Und das in rasender Geschwindigkeit.

Im Regelfall ist es heute doch vielmehr so, dass Zeit keinesfalls mehr der wichtigste Faktor zur Bemessung von Leistung ist. Dieses schwere Erbe hat der Wert des Ergebnisses angetreten. Klingt nicht nur umständlich, ist es in der Messung auch. Denn: Was diesen Wert ausmacht, entscheidet der Auftraggeber. Die Zeit mag da als eine Komponente unter vielen eine Rolle spielen, tritt aber höchstens noch als Statist auf den Plan. Ergo deutet die Überlegung hinter »Workplace Analytics« auf ein völlig falsches Beobachten von Potenzialen hin, während der entscheidende Faktor des Wertes gänzlich außer Acht gelassen wird. Welch törichte Idiotie.

Ein buntes Potpourri an Leistung

Wenn Sie sich beispielsweise Tätigkeiten anschauen, bei welchen Ideen produziert werden – wie um alles in der Welt möchten Sie da die Leistung anhand von Zeit messen? Nur weil Sie zwei Tage über einer Aufgabe gegrübelt, sich die Haare gerauft und dabei drei Büschel ausgerissen haben, ist Ihre Idee doch nicht zwangsläufig genial. Schön wär’s. Ihrem Kollegen ist vielleicht nach fünf Minuten eine bessere Lösung eingefallen. So bringt die gemeinsame, einstündige kreative Runde bei Kaffee am Morgen also unter Umständen wahre Schätze zutage. Oder auch nicht. Eine Idee entsteht eben mal mehr oder weniger flott. Ausschlaggebend für ihren Wert ist jedoch nicht die in die Leistung investierte Zeit.

Ähnlich sieht es bei einem guten Techniker aus: Er kommt vorbei, hat den Fehler einer Ihrer wichtigsten Maschinen innerhalb einer Minute erkannt und in der zweiten schon behoben. Veni, vidi, vici. Und dann das böse Erwachen: Er verlangt für seine Leistung 10.000 Euro. Sie fragen, ob er das viele Geld bei der kurzen Leistungserbringung überhaupt wert war? Nun aber mal Hand aufs Herz: Wäre es Ihnen ernsthaft lieber, er hätte zwei Stunden Däumchen gedreht, obwohl er den Fehler längst kannte? Und das nur, um seinen Stundenlohn herunterzutreiben und sich vermeintlich günstiger zu verkaufen. Während Ihre Maschine in der Zwischenzeit stillsteht und Sie so in der Produktion Verluste einfahren … Eben, dachte ich’s mir doch.

Von der Kunst, Ergebnisse zu produzieren

Wenn das Ergebnis also stimmt, die Idee gut ist, bin ich bereit, gutes Geld zu zahlen. Auch wenn der Dienstleister nur zwei oder drei Minuten seiner Zeit dafür aufbringen musste. ›Gerade dann‹, könnte man sogar sagen

Daher ist doch die entscheidende Frage: Was ist eine Idee, eine Beratung, eine Dienstleistung wert? Welcher Wert entsteht beim Kunden, wenn er mit Ihnen zusammenarbeitet? Die eindeutige Antwort lautet für mich: Die Höhe des Werts ist ein Gefühl und ergibt sich aus dem Markt. Natürlich will ein Auftraggeber möglichst wenige Stunden bezahlen, ein Berater oder Dienstleister möglichst viele in Rechnung stellen. Als ich noch Beratung gemacht habe, haben wir dieses Problem für uns durch eine Art Wertvertrag gelöst. So wird der angestrebte Wert und folglich der Preis des gewünschten Ergebnisses schon vor Aufnahme der (Zusammen-)Arbeit gemeinsam festgelegt, statt im Nachhinein nach Stunden oder Tagen abzurechnen.

Nun wirklich keine Weltraumtechnik …

Ein kleiner, zwischenmenschlicher Exkurs macht den Sachverhalt sicherlich besonders deutlich: Wenn ich zur Hochzeit meiner besten Freundin nach Frankreich fahre, ist ein Bahnticket um die 100 Euro für mich vollkommen in Ordnung. Lädt mich ein entfernter Bekannter (der nur für seine lahmarschigen Sitzparty bekannt ist) hingegen zum Geburtstag in den gleichen Ort ein, seufze ich bereits bei 30 Euro. Sie sehen: Die Bahn bringt in beiden Fällen die gleiche Leistung auf die Schienen und braucht (vermutlich) die gleiche Zeit für die Strecke. Je nach emotionaler Bindung ist mir diese Leistung allerdings mal mehr, mal weniger wert.

Ob Microsoft dann demnächst ein Add-on mit dem Namen »Value Calculator« entwickelt – ich bin gespannt wie ein Flitzebogen. Bleibt für mich an dieser Stelle nur noch unter höflicher Verbeugung zu sagen: Quod erat demonstrandum …

 

 

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  • Kalle
    17. Oktober 2017 at 08:08

    Bleibt zu sagen, das wir hier in (zwischen-) menschlichen Dimensionen diskutieren… das ist wichtig, damit jetzt nicht die physikalisch – mathematische Definition von Leistung (=Arbeit / Zeit) hier Anwendung findet! Sonst wäre der o.a. Artikel totaler Nonsens.
    Das Ergebnis wird hier, aus nachvollziehbaren Gründen mit der Leistung gleichgestellt.
    D‘accord Herr Vollmer, aber als AG würde es mich trotzdem ärgern, wenn jemand in 2 Minuten ein Problem löst, welches ihm dann einen exorbitanten Stundenlohn bringt 😉

    • Tobias Pflock
      17. Oktober 2017 at 18:47

      @Kalle: Sagen Sie das mal den Herren Messi und Neymar – die lösen in 10 Sekunden das Problem („Das Runde muss in das Eckige“) und kriegen immer den großen Batzen von der Kohle. Ich persönlich kann tatsächlich besser mit einer Leistungs-gerechten Bezahlung als mit einer Zeit-gerechten leben, hier hat es Lars Vollmer mal wieder auf den Kopf getroffen!
      Der entscheidende Unterschied in der Definition von Leistung ist m.E. dass P=W/t bei Maschinen gilt, und eben nicht bei solch nichtlinearen, komplexen Systemen (im physikalischen Sinne) wie Menschen.

  • Lars
    17. Oktober 2017 at 08:55

    Wie immer ein sehr schöner Beitrag, den ich wieder gerne gelesen habe!

    Als ich den Artikel las, konnte ich nicht umhin zu zustimmen: Wenn ein Arbeitgeber bzw. Vorgesetzter die Analyse-Tools zur Optimierung der Arbeitsweisen seiner Mitarbeiter nutzt, ist dies wirklich ein Horror-Szenario, das den verantwortungsbewusst und selbstbestimmt arbeitenden Menschen in die Schranken verweist, wenn nicht sogar vollständig abschafft.

    Nach Recherche und Lesen der Microsoft-Informationen zu dem Thema Office Analytics habe ich noch eine andere Sichtweise auf den Sachverhalt entdeckt:
    Das Potential die digitale Technik zu Nutzen, damit Jeder seinen eigenen Arbeitsplatz, der heute sehr stark durch digitale Medien bestimmt wird, so einzurichten, wie er/sie es am sinnvollsten finden. Insbesondere sehe ich auch Beispiele, um die Informationsflut, die da in heutigen Büros durch die Verwendung von E-Mails und anderen digitalen Kommunikationsformen besteht, zu bewältigen. In den meisten Fällen ist diese Informationsflut meist ein Problem für ein selbstbestimmtes Arbeiten und eine Lösung ist nicht sich der digitalen Kommunikation vollständig zu entziehen, sondern sich aller notwendigen Hilfsmittel (auch der digitalen Technik) zu bedienen, um nicht als Getriebener in der eigenen Arbeit zu ertrinken.

  • Frieda Budan
    17. Oktober 2017 at 21:07

    Vorsicht, Herr Professor, das ist ein Umsturz!
    Wenn Ihr Techniker diese Art der genialen Problemlösung für 10 T $ mehrmals am Tag macht, verdient er in Summe mehr als der Vorstand seiner Firma.
    Wir können gar nicht so schnell gucken, wie das Immunsystem der Firma aktiv werden wird und zwar gegen den Techniker. Also: Erst die Immunsysteme umprogrammieren….oder abschaffen!

  • Markus
    18. Oktober 2017 at 13:31

    Hallo Lars, Danke für diesen – wie immer großartigen Beitrag. Die Leseprobe Deines neuesten Buches habe ich auch schon heruntergeladen.

    Dem Dilemma, dass wir andauernd der längst als falsch widerlegtem Karl-Marxschen-Arbeitswerttheorie auf dem Leim gehen, widme ich mich vor dem Hintergrund des Pricings für Kreative schon sehr lange. Dem daraus resultierenden Problem mit der Zeit- und Tätigkeitserfassung (über die Du ja auch bereits sehr trefflich und pointiert geschrieben hast) habe ich mich in dem Beitrag angenommen: http://www.pricingfueragenturen.de/blog/die-vier-illusionen-der-zeiterfassung/ Und letztlich überrascht es mich nicht, dass Du das als Berater selbst vor langer Zeit erkannt hast und es für Dich mit dem Wertvertrag gelöst hast. Spannend.

    Viele Grüße

    Markus

  • Ulrich Brinkmeier-Hahn
    20. Oktober 2017 at 08:46

    Ach, was ein schönes, erfrischendes Thema. Und die Kommentare, fein.
    Als erstes werfe ich mal ein weiteres, immer noch weit verbreitetes und gültiges Manifest in die Diskussion ein: Anwesenheit = Produktivität! Viele Unternehmen bezahlen ihre Mitarbeiter, weil sie halt da sind nach dem alten Arbeitsvertragsprinzip, Zeit gegen Geld. Da spielt Leistung oder Wert der Tätigkeit eine unttergeordnete oder keine Rolle.
    @Kalle, Die Servicegebühr ist im Allgemeinen vorher bekannt. Der AG weiß also worauf er sich einlässt. Das Bsp. spricht von einer wichtigen Maschine. Davon hängt möglicherweise ein millionenschwerer Produktionsverlust oder sogar Menschenleben ab. Den Namen dieses cleveren Technikers würde ich mir merken und diesen immer wieder verlangen. Der Techniker B, der möglicherweise 7 Stunden benötigt und mir dann auch noch ein Ersatzteil für 50000 in Rechnung stellt, ist „emotional“ gesehen bei mir nicht gut platziert. Die Schwierigkeit ist, dass wir die Fälle hier konstruieren und so leicht abwägen können, Was (Lösung) / Wer (Techniker) Wie (Dauer) uns besser gefällt. Das ist simple menschlich. Wir benötigen also neue Denkmuster und Ansätze um Leistung zu definieren, zu bewerten und zu honorieren.
    @Tobias Pflock, möchte ich sagen. Neymar oder Messi lösen das Problem eben nicht in 10 Sekunden. Zumal diese das auch nur im Team lösen könnten, die Mittelstürmer legen vor und die Verteidiger verhindern das der Kontrahent Gegentore erzielt. Also ist hier „das Problem“ erst gelöst, wenn nach der gesamten Spielzeit einer mehr Tore erzielt hat. Leistungsbeurteilung leicht, gewonnen = gut = viel Geld für alle. Emotional verbunden sind in diesem Beispiel mehrere Millionen fußballbegeisterte Fans die das hohe Gehalt unterstützen. Allgemeinen Zustimmung, denke ich. Wir reden nicht darüber ob die Millionen Gagen gerechtfertigt sind.
    @Frieda Budan, leider falsch. Der Techniker bekommt die 10.000 nicht. Das ist die Gebühr, die sein Arbeitgeber einstreicht. Der Techniker bekommt, mal angenommen, 100 davon und der Vorstand; 5000. Hier könnten wir wieder trefflich über leistungsgerechte Bezahlung diskutieren. Der Techniker erbringt eine hohe Problemlösungsquote und kann so mehr Auftrage abarbeiten und Kunden fröhlich machen. Emotional gesehen ist dieser Techniker mein bevorzugter, gegenüber dem der 3 Stunden braucht. Bedeutet im Übrigen 30000 Service Fee.
    Entscheidend ist doch bei der Anwendung solcher Tools wie die Algorithmen und Parameter gesetzt werden, auf welcher Basis eine gute oder schlechte Leistung bewertet wird. Anwesenheit, Kreativität, Produktivität, Kommunikation, ach und was noch alles so reinspielt.
    Das Tool muss ich mir unbedingt mal anschauen. Mein derzeitiger AG hat gerade auf Office 365 umgestellt. Da bin ich jetzt mal gespannt, ob das Add-On Workplace Analytics auch bald aufpoppt.

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