Offener Brief an Bundespräsident Steinmeier

Lars Vollmer

Im ersten Teil des siebten Waschtags habe ich mir verbeten, dass Kinder und Jugendliche, die sich der Friday-for-Future-Bewegung anschließen, für irgendwelche Ideologien instrumentalisiert werden. Und ich mich lautstark wehre, wenn ein Journalist oder Politiker glaubt zu wissen, was „die Wähler“, „die Deutschen“ oder „die Amerikaner“ wollen.

Ich hatte Ihnen angekündigt, dass ich dazu mal eine Person befragen werde, die nun wirklich frei von Undifferenziertheit sein sollte. Nämlich das Staatsoberhaupt. Wenn einer seinem Volk aufs Maul schauen und wissen sollte, was sich hier unten in den Gassen der sogenannten Lebenswirklichkeit so alles unterschiedliches abspielt, dann sollte das doch der Bundespräsident sein, oder? Aber vielleicht täusche ich mich da. Unlängst gab es einen peinlichen Anlass, den ich diesbezüglich gerne mal mit ihm erörtern würde.

Nun also habe ich Frank-Walter Steinmeier, seines Zeichens Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland, dazu einen offenen Brief geschickt.

 

Lieber Herr Bundespräsident,

was ist eigentlich Ihr Job? Ja, ich weiß, Sie sind das Staatsoberhaupt. Ich habe Sie zwar nicht gewählt, weil eine echte Wahl des Bundespräsidenten abseits der Showveranstaltung der Bundesversammlung nicht vorgesehen ist in der Bundesrepublik Deutschland, aber Sie sind es trotzdem auch für mich. Meine Frage ist weniger Ihr Status, als vielmehr, was Sie zu tun haben.

Das Entlassen und Ernennen von Bundeskanzlern und Richtern, das Unterschreiben von Gesetzen, das sind Formalien und Zeremonien, und das Unterschreiben von internationalen Abkommen wurde schon vor Ihrer Amtszeit an die Regierung delegiert. Also? Ja, ja, da kommt dann immer die ominöse Tätigkeit des „Repräsentierens“ ins Spiel. Aber was heißt denn das konkret?

Ich will hier die sicher spannende intellektuelle Diskussion abkürzen, weil ich auf einen konkreten Fall hinauswill. Ich gehe mal davon aus, dass Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass es nicht Ihre Aufgabe ist, den Staat und seine Institutionen zu vertreten, sondern die Menschen, also das Volk. So haben Sie es auch in Ihrem Amtseid geschworen, als Sie sagten, Sie wollten Ihre Kraft „dem Wohle des deutschen Volkes“ widmen.

Also Menschen repräsentieren. Plump übersetzt heißt „re“ zurück und “präsentieren“ zeigen, vorlegen, überreichen, anbieten. Sie bieten den Menschen eine Interpretation dessen an, was Sie von den Menschen wahrnehmen. Sie sind so eine Art Spiegel des Volkes.

Trifft es das in etwa?

Aber wenn das so ist und so sein soll, dann habe ich Kritik an Ihrer Amtsführung. Denn Sie erscheinen mir wie ein zum Teil blinder Spiegel!

An Ihrem Verhalten in der Öffentlichkeit kann ich ablesen, dass Sie in der Annahme von Kritik kein Großmeister sind. Darum will ich Ihnen erstmal versichern, dass ich gegen Sie persönlich gar nichts habe. Im Gegenteil, ich schätze Ihre besonnen wirkende Art. Sie sind kein Krawallpolitiker. Im Kanzlerwahlkampf waren Sie vielleicht nicht schröderig genug, aber gerade das finde ich für das Amt des Bundespräsidenten gar nicht so schlecht. Und dass Sie Erfahrung in diversen Staatsämtern haben, schadet meines Erachtens auch nicht.

Aber Sie machen ständig dieses „Haltung zeigen“ – und damit werten Sie automatisch immer einen Teil der Bevölkerung ab. Ja, ich habe den Eindruck, dass Sie immer wieder Partei ergreifen für einzelne Gruppen und gegen andere Gruppen der Bevölkerung. Dabei verkaufen Sie Einzelmeinungen im Namen des Volkes oder Sie nehmen die Meinungen von anderen aus dem Volk und bürsten denen eins über.

Und wohlgemerkt meine ich damit ausschließlich Meinungen, die sich im Rahmen der Verfassung abspielen. Dass Sie gegen verfassungsfeindliche Meinungen antreten, halte ich für selbstverständlich. Nein, mir geht es um Ihre Funktion als Kristallisationspunkt für die Meinungen des Volkes. Nicht für die Meinungen der Regierung oder gar Ihre persönliche Meinung. Denn Sie sind der Präsident des gesamten Volkes.

Konkret: Sie müssten eigentlich sowohl mit und für diejenigen sprechen, die sich für eine schärfere Klimapolitik oder den Atomausstieg oder den Kohleausstieg oder die Dieselfahrverbote oder Organspendepflicht oder offene Grenzen oder Enteignungen aussprechen, als auch mit und für diejenigen, die sich jeweils dagegen aussprechen. Sie müssten mit und über die Parteigänger der Linkspartei oder der Grünen genauso respektvoll reden wie mit und über die Parteigänger der FDP oder der AfD. Ganz unabhängig davon, was Sie oder ich für richtig oder falsch halten.

Und natürlich können Sie sich für bestimmte Prinzipien oder gegen bestimmte Haltungen aussprechen, aber wenn Sie das Volk repräsentieren, müssen Sie das ganze Volk repräsentieren. Also tun Sie das bitte. Insbesondere nach außen. Auch gegenüber dem Iran.

Natürlich müssen Sie dabei diplomatisch sein. Gut, und natürlich müssen Sie auf die langfristigen Beziehungen auch zum Iran achten und dürfen den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen. Einverstanden. Die Haltung der Regierung zu übermitteln ist ohnehin nicht Ihr Job, das ist Aufgabe des Außenministers. Ob die deutsche Regierung sich über die iranische Revolution und die Errichtung eines islamischen Gottesstaates inklusive Gewalt gegen Frauen, Homosexuelle und Apostaten und inklusive des Angriffs auf das Existenzrecht Israels freut oder selbiges verurteilt, das müssen Sie sich so oder so nicht zu eigen machen.

Aber wenn Sie für das gesamte deutsche Volk sprechen und dem Mullah-Regime im Iran zum 40. Jahrestag der islamischen Revolution ein freundliches Telegramm „im Namen meiner Landsleute“ schicken, ohne die in Ihrem Volk nun mal vorhandene Kritik an diesem Mullah-Regime auch nur mit einem Wort zu repräsentieren, dann brauchen Sie sich auch nicht zu wundern, wenn Sie Gegenwind zu spüren bekommen.

Hamed Abdel-Samad ist nicht irgendwer, sondern einer der profiliertesten Islamkenner und -kritiker in Deutschland. Er konfrontierte Sie auf einer Pressekonferenz mit Ihrem Telegramm und verbat sich, dass Sie dem iranischen Regime auch in seinem Namen gratuliert haben: „Nicht in meinem Namen!“, sagte er. Und die Hashtags #nichtinmeinemNamen und #nichtmeinPräsident trendeten in den Social Media.

Ihre Reaktion auf diese Kritik war aus meiner Sicht arrogant. Sie haben sie rundheraus zurückgewiesen. Sie haben sie schlicht an sich abtropfen lassen. Und das hat mich enttäuscht.

König Felipe von Spanien hat genau den gleichen Mist gebaut. Vor ein paar Jahren wäre es selbstverständlich gewesen, die Einheit Spaniens zu beschwören. Aber seit dem Konflikt um die Unabhängigkeit der Katalanen geht das so eben nicht mehr. Er kann als König und Repräsentant des gesamten spanischen Volkes nicht einfach diejenigen Spanier, die die Unabhängigkeit Kataloniens wünschen, ausklammern und nur für die anderen sprechen. Es ist nicht seine Aufgabe, die Mehrheit zu vertreten. Sondern Dialog zu initiieren!

Das erwarte ich vom spanischen König und vom deutschen Bundespräsidenten: miteinander reden, ohne sich sofort auf die Seite einer Meinung zu schlagen. Dafür sorgen, dass die Kontrahenten miteinander reden. Auch denen zuhören, die anderer Meinung sind als Sie. Integrieren! Das ist Ihr Job. Deshalb können Sie die von Hamed Abdel-Samad stellvertretend für einen vermutlich relevanten Teil der Bevölkerung ausgesprochene Kritik an Ihrem Telegramm nicht einfach abbügeln.

Lieber Herr Bundespräsident, mit Verlaub, das geht nicht!

Je länger ich darüber schreibe, desto klarer wird mir, wie ungeeignet ich für das Amt wäre. Aber ich wollte es ja auch nicht, sondern Sie wollten das Amt. Jedenfalls haben Sie sich gegen die Nominierung nicht gewehrt. Also bitte schön!

Und um es zu präzisieren: Mir geht es überhaupt nicht darum, diese Kontroverse nochmal aufzukochen und dabei Partei für oder gegen Sie oder für oder gegen Hamed Abdel-Samad zu ergreifen. Mein Punkt ist: Sie hätten es doch vorher wissen können!

Ja, Sie haben Recht, auch vor Ihnen haben mehrere andere Bundespräsidenten Jahr für Jahr fast gleichlautende Telegramme an die Mullahs versendet und ihnen zur islamischen Revolution gratuliert. Ja, es ist eine diplomatische Formalie. Ja.

Aber wenn Sie den Menschen in Ihrem Land gut zugehört hätten, wenn Sie ein Sensorium für die Strömungen und Gefühle der Deutschen hätten, wenn Sie also Ihren Job gemacht hätten, dann hätten Sie selbstverständlich gewusst, dass sich im Verhältnis der Deutschen und auch von kritischen in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslime zum Islam in jüngster Zeit etwas geändert hat und dass die Lage nicht mehr so ist wie vor ein paar Jahren. Es gibt nach der Einwanderung von etwa zwei Millionen Muslimen nach Deutschland seit Kurzem einen brisanten Konflikt mit dem Islam in Teilen des deutschen Volkes, den Sie doch wahrgenommen haben müssen!

Meine Vermutung ist: Sie haben überhaupt nicht damit gerechnet, dass das Telegramm, das in den vergangenen Jahrzehnten so oder so ähnlich formuliert geräuschlos verschickt worden ist, Ihnen in diesem Jahr um die Ohren fliegen würde. Sie wurden überrascht. Sie haben es nicht kommen sehen.

Meine Frage an Sie ist darum: Wie organisieren Sie „das Zuhören“? Welche Organisation und welche technischen Möglichkeiten hat Ihr Haus, um das Volk zu beobachten und in seiner Differenzierung wahrzunehmen?

Mich interessiert das alleine schon aus fachlicher Sicht. Eigentlich müssten Sie ja einen riesigen Apparat zur Kulturanalyse des Volkes betreiben. Tun Sie das? Ich wüsste es gerne. Ihre Aufgabe ist ja nicht, dem Volk eine Leitkultur vorzuschreiben, sondern die kulturellen Strömungen wahrzunehmen. Und zwar auch vonseiten derer, die nicht in der Zeitung schreiben oder an der Redaktionssitzung der Tagesthemen teilnehmen. Nur: Wie machen Sie das?

Sie sind ja die einzige Instanz, die das überhaupt könnte. Denn nur Sie brauchen keine Wählerstimmen. Sie müssen nicht aus politischen Gründen spalten. Sie sind die beste Institution, die wir haben, um die innere Einheit des Volkes zu befördern.

Daher die Frage: Haben Sie überhaupt die notwendigen Ressourcen dafür? Schaffen Sie es überhaupt, aus Ihrem Berliner Raumschiff respektive Ihrer Filterblase herauszukommen und den Finger am Puls der Deutschen zu haben? Werden Sie dieser Aufgabe gerecht? Oder finden Sie es schade, dass ich Ihnen „nicht zugehört“ habe – so wie Sie es schon Hamed Abdel-Samad unterstellten?

Vielleicht liege ich ja komplett daneben. Rücken Sie das doch bitte mal ins rechte Licht. Sie müssen mir nur antworten. Und bitte nicht im Namen aller Deutschen.

Ihr nur in seinem Namen grüßender

 

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Lars Vollmer wäscht Schmutzwäsche in der Öffentlichkeit – also nicht seine eigene, sondern eher die der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. In seiner Publikationsreihe »Vollmers Waschtag« nimmt er seine Leser mit auf eine längere gedankliche Reise. Die Essays erscheinen online auf der Website des Autors und im handlichen Pocket-Format alle zwei Monate zum Lesen, Verschenken und Sammeln.
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