Neues Jahr, neues Glück – warum Appelle für die Tonne sind
Jedem neuen Jahr wohnt ein gewisser Zauber inne, oder? Zwar kann nicht jeder der Silvester-Nacht etwas abgewinnen (so wie ich), aber für Viele hat der Auftakt zu 12 neuen Monaten etwas Positives. Es scheint, als wenn alle ab dem 7. Januar (manche schon ein paar Tage früher) wieder bei »Los« starten. Die Karten sind neu gemischt und die Hoffnung auf Erfüllung der eigenen guten Vorsätze und fremdgesteckten Vorgaben wieder groß. Neues Jahr, neues Glück. Oder doch nicht?
Sie werden sich doch sicher auch etwas vorgenommen haben, oder? Macht doch jeder. Ein liebgewonnenes Ritual. ›Rauchen abgewöhnen, mehr Sport, gesünder essen…‹ Und klappt’s auch? Manchmal schon. Meistens nicht!
Und obwohl fast jeder diese Erfahrung aus seinem Privatleben kennt, wird trotzdem auch im beruflichen Umfeld jetzt wieder hemmungslos ›Uns-Vorgenommen‹. Am besten gleich für die ganze Organisation. Das heißt dann natürlich anders: Ziele (für die gewöhnlichen Mitarbeiter). Oder Strategien (das sind die Edel-Ziele für die Großen). Manchmal auch Pläne. Konkret dann: ›Unnötige Meetings abschaffen, mehr Innovationen, bessere Kommunikation…‹ oder ähnliches. Und klappt’s auch? Manchmal schon. Meistens nicht!
Motivationsgurus und Wirtschaftszeitungen empfehlen Ihnen in den ersten zwei Wochen des Jahres immer wieder die Mental-Strategien gegen den eigenen inneren Schweinehund. Und jeder meint, die einzig wirksame gefunden zu haben. Ich verrat‘ Ihnen was: Alles Käse. Schon die Annahme an sich ist falsch, dass im Unternehmen eine Verhaltensveränderung die über ›weniger Teetrinken‹ oder ›häufiger die Treppe nehmen‹ hinausgeht, völlig kontextunabhängig, also nur von innen heraus möglich wäre. Ja sicher, es wäre prima, wenn jetzt jeder mal in sich gehen würde und schon wären weniger Meetings erforderlich, kämen mehr Innovationen heraus oder würde besser kommuniziert werden. Geht aber nicht. Ging noch nie. Weil wir eben nicht allein auf der Welt sind und eben nur schwerlich isoliert handeln (können).
Die Systemtheorie hat sich vor längerem der Sache ausgiebig angenommen: Wir Menschen sind, ob privat oder beruflich, immer Teil eines Systems (Familie, Sportverein, Firma…). Und wir handeln immer im Kontext. Das verblüffende: wir verhalten uns im Grunde immer »richtig«. D.h., wir begreifen den strukturellen Rahmen und dessen Spielregeln meist sehr rasch und erfüllen die Bedingungen. Kontextkonformes Handeln nennt sich das. Oder auch systemintelligentes Handeln. Der Kontext beeinflusst das Verhalten von Menschen stärker, als deren Motive und Präferenzen.
Ein Element kann sich also immer nur im Bezug zu seinem System, bzw. ein System immer nur in Bezug zu seiner Umwelt verändern. Eine Verhaltensänderung geht daher eben nur im Kontext – also mit dem System – nie ohne. Es ist also weitestgehend aussichtslos und daher zur Erfolgsfreiheit verdammt, sich selbst oder einen Mitarbeitern zuzumuten, sich gegen das System zu verändern.
Was will ich damit sagen: Nehmen Sie sich für das neue Jahr keine Verhaltensveränderung vor, sondern arbeiten Sie an der Systemveränderung. D.h., entwickeln Sie ein Systembild, das die Zusammenhänge der vielen beteiligten Subsysteme und Elemente zeigt. Und dann entscheiden Sie, wie das System umgebaut werden muss, damit sich die Menschen in dem neuen Kontext anders, sprich kontextkonform, also »richtig« verhalten. Zugegeben, das klingt jetzt nicht soo sexy. Nur: es funktioniert.
Ich will Ihnen mal ein Beispiel geben: Nehmen wir an, Sie wollen die Anzahl der (scheinbar und aus Ihrer Sicht) überflüssigen Meetings reduzieren. Der bloße Appell oder die strikte Anweisung an alle wird nicht helfen – das werden Sie sicher auch schon bemerkt haben. Der Grund ist wie oben beschrieben: Die Mitarbeiter verhalten sich in ihrem Kontext logisch und richtig, d.h. weniger Meetings anzusetzen würde das Überleben des gegenwärtigen Systems gefährden. Und an dieser Stelle kann man sich so ein soziales System wie einen gesunden Körper vorstellen: sobald Bakterien oder Viren einfallen, werden die Abwehrtruppen mobilisiert. Der Angreifer (hier: der Appell, weniger Meetings durchzuführen) wird ausgeschwitzt.
Die Lösung also: Kontext hinterfragen. Was ist die Frage, auf die die Antwort »Meetings« lauten muss? Informationen transportieren? Steuerung ausüben? Macht ritualisieren? In vielen Unternehmen herrscht eine hochkultivierte Absicherungsmentalität. Bevor jemand etwas unternimmt oder entscheidet, spürt er, dass es angemessen (oder anschlussfähig) ist, die Zustimmung von möglichst vielen Kollegen und/oder Vorgesetzten einzuholen. Zur Sicherheit. Machen die anderen doch auch so. Vielleicht damit man am Ende, wenn es doch schief laufen sollte, ein Ass im Ärmel hat. Der Chef hatte es ja abgesegnet.
Die Absicherungsmentalität selber ist wiederum Produkt und Resultat der Unternehmenskultur gleichermaßen. Bei Konzernen ist sie meist systemimmanent und eine Folge der Organisation und der herrschenden Rituale und Praktiken − durch »Compliance« in den letzten Jahren nochmal deutlich überhöht. In anderen Unternehmen ist sie oft die Folge von vertrauensarmer Führung oder von einem Menschenbild aus dem vorherigen Jahrhundert.
Eine Kontextveränderung könnte in diesem Beispiel heißen: • Entscheidungen nicht zentralisieren, sondern an den Ort des Geschehens verlegen • funktionale Abteilungen auflösen und statt dessen interdisziplinäre Teams formen, die Wertschöpfung vollständig abwickeln • relative Ziele statt absoluter Ziele formulieren usw.
Viele große Baustellen. Zugegeben. Aber auch eine wirkungsvolle Art, den Kontext zu verändern.
Also: Weniger Arbeit für Gurus, mehr etwas für die (System-) Handwerker.
Es wünscht Ihnen alles Gute für das neue Jahr, Ihr
Disclaimer: Diesen Text habe ich ursprünglich schon zum 1. Januar 2012 verfasst und veröffentliche ihn seitdem – immer leicht angepasst – im jährlichen Turnus. Ich nenne es »eine Tradtion«.
Besucher
6. Januar 2014 at 19:06Sehr geehrt Herr Vollmer,
stimme ihnen völlig zu – das System muss verändert werden. Ich habe den Eindruck dass es bei den Mitarbeitern bis hin zu mittleren Führungskräften dafür auch einiges an Offenheit gibt – hier ist eine Veränderung möglich. Je höher aber die Führungsebene, desto prägender ist sie für das System. Diese Ebene sieht aber ungern sich selbst als mitverursacher – die selbstkritische Betrachtung nimmt aus meiner Erfahrung nach oben hin ab oder es gibt wenig Veränderungsbereitschaft. Wie kann hier von unten der Hebel angesetzt werden?
Constantin Sander
7. Januar 2014 at 09:37Yep, ins Schwarze getroffen, Herr Vollmer. Und genau darum braucht jedes System auch Störer, sprich Kritiker, Karrikaturisten, Hofnarren und so weiter. Nur wer ein System kräftig (zer)stört, wird einen Impuls zur Veränderung auslösen – wenn der denn auf Resonanz stößt. In diesem Sinne Ihnen ein bewegtes Jahr 2014.
Besucher
7. Januar 2014 at 15:42Lieber Herr Vollmer,
ich habe viele Jahre in einem Konzern gearbeitet und genau diesen Meetingterror und Entscheidungskreisel erlebt – manchmal war es ein Leben, wie in einer Zeitschleife – alles war in Bewegung, aber nichts veränderte sich („Und täglich grüßt das Murmeltier“). Jetzt erlebe ich es leider auch bei eigentlich flexiblen mittelständischen Unternhemen (`nichts geht ohne den Chef´) – als ob kein Kraut dagegen gewachsen ist?!