Offener Brief an Olaf Scholz

Lars Vollmer

Lieber Herr Olaf Scholz,

Sie müssen doch als Finanzminister was tun, oder? Natürlich was Gutes, wenn es denn irgendwie geht. Oder wenigstens etwas, das von den Wählern honoriert wird… Das allerdings ist nicht immer gleichzeitig etwas Gutes – ich hoffe, darüber herrscht zwischen uns Einverständnis. Oder nicht?

Wie halten Sie es allerdings mit den schlechten Taten, die lediglich bei Ihrem Wahlvolk gut ankommen? Oder präziser: Mit den Taten, von denen Sie wissen, dass sie neben den guten Wirkungen auch jede Menge schlechter Nebenwirkungen haben können, und zwar in unkalkulierbarer Größenordnung.

Solche erhofft guten Taten, die potenziell viele schlechte Nebenwirkungen mitliefern und die Sie in der Annahme erbringen, dass das Volke sie goutiert, sind doch eigentlich genau das, was man heutzutage populistisch nennt? Meine ich zumindest. Und ich gehe jetzt einfach mal ganz blauäugig davon aus, dass Sie sich keineswegs als Populist sehen.

Dann bleibt für mich eigentlich nur der Schluss, dass Ihnen beispielsweise Ihr Vorschlag, dass der Gesetzgeber den Banken verbieten solle, den braven Kunden und Kleinsparern Negativzinsen zu berechnen, aus Versehen passiert ist. Denn es ist doch offensichtlich – und Sie wurden darauf auch von ausgewiesenen Finanzexperten hingewiesen – dass Sie den Banken und Sparkassen damit angesichts der von der EZB vorgegebenen negativen Leitzinsen einen der letzten verbliebenen Ertragstöpfe zerschlagen würden, mit unabsehbaren Folgen für das ohnehin wackelige europäische Bankengebilde.

Ich habe ja vollstes Verständnis dafür, dass Sie nicht alles selbst überblicken können. Zumal der internationale Finanzsektor ja zweifellos ein hoch komplexes Feld ist, das kaum von irgendjemandem vollständig überblickt wird. Sie haben daneben noch so viele Brandherde, mit denen Sie sich beschäftigen müssen. Ihre Partei schmiert ab und hat derzeit keine stabile Führung, am Konjunkturhimmel türmen sich Gewitterwolken auf, sowohl die vielfarbigen Konkurrenten der Sozialdemokratie auf der linken Seite des politischen Spektrums als auch deren Gegner auf der rechten Seite werden in Summe immer stärker … das sieht grosso modo nicht gut aus für die alte Tante SPD. Und doch müssen Sie ja mit Ihren verantwortungsvollen Ämtern zurechtkommen, sowohl als ein Parteiführer als auch als Finanzminister.

Darum frage ich mich, wie Sie sich zwischen dieser Fülle von Aufgaben und Themen organisieren, damit Ihnen nicht aus Versehen so ein typischer populistischer Unfug passiert, indem Sie die potenziellen Nebenwirkungen einer politischen Maßnahme außer Acht lassen.

Ihre Zeit ist begrenzt. Wie schaffen Sie es da, Gewissheit darüber zu erlangen, welche Maßnahmen welche Wirkungen zeigen werden? Wie gehen Sie mit der immensen Komplexität Ihrer Aufgaben um? Was ziehen Sie ins Kalkül und was nicht? Wie ist Ihr Laden organisiert? Wie überblicken Sie, was alles passieren kann? Wie erkennen Sie, was Sie alles mit dem Hintern umstoßen könnten, während Sie mit den Händen versuchen etwas aufzubauen? Das interessiert mich wirklich.

Ich mutmaße mal, Sie konsumieren regelmäßig hochgradig destillierte Powerpoints von handverlesenen Referenten, die Ihnen gezielt auflisten, welche 27 Nebenwirkungen passieren können, sollten zum Beispiel Banken von Privatkunden keine Negativzinsen verlangen dürfen. Da wäre dann die Rede von Bankbilanzen, Zombiefirmen, Arbeitslosigkeit, Pleiten, Rezession, Euro-Crash, EU-Zerfall, usw.

Damit meine ich natürlich keine kausalen Folgen, sondern denkbare Nebenwirkungen durch komplexe Strukturen mit unberechenbaren WechselWirkungen, Rückkopplungen und Totzeiten im System. Also verschiedene Szenarien. Wie wird so etwas in einem Ministerium verarbeitet?

Ihnen wird es ja keineswegs egal sein, wenn in einer der möglichen Zukünfte Ihr Name mal mit einem gigantischen Finanzcrash und einem politischen Desaster verknüpft werden würde – so wie etwa heute der Name Neville Chamberlain mit der missratenen Beschwichtigungspolitik gegenüber den Nationalsozialisten am Vorabend des zweiten Weltkriegs verbunden wird. Niemand wünscht Ihnen Ähnliches und Sie selbst werden versuchen, jede Wahrscheinlichkeit für ein solches Szenario zu minimieren.

Aber vielleicht haben Sie dafür einfach zu viel zu tun? Oder Ihre Referenten blenden aus ideologischen Gründen einen Teil der Szenarien aus? Oder die Komplexität der Verfahren in Ihrem Ministerium ist der Komplexität der Materie nicht angemessen? Oder Sie nehmen die Warnungen Ihrer Referenten nicht hinreichend ernst?

Man weiß ja: Medizinern, die nur vier Stunden schlafen, können dramatische Fehler unterlaufen. Schlafen Sie genug?

Ihr Ministerium ist eine Schlüsselstelle für den Wohlstand in unserem Land. Ich bin etwas verunsichert und würde wirklich gerne wissen, wie Sie das so handhaben. Gab es zu der Negativzinsfrage ein Papier von Marktwirtschaftsexperten, das die Marktrisiken aufdröselt und abschätzt? Haben Sie das auch gelesen und ernst genommen? Oder hat das wenigstens sonst jemand in Ihrem Umfeld gelesen und Sie darauf hingewiesen? Haben Sie da Leute um sich, die Ihnen ins Gesicht sagen dürfen: „Scholz, machen Sie, was Sie denken, aber inhaltlich ist das eine Scheißidee!“ … ?

Wie wird da hinter den Kulissen in Ihrem engsten Kreis geredet? Weist da jemand auf die zeitlich versetzten Kollateralschäden hin? Sagt da einer etwa: „Politisch ist das in Bezug auf den aktuellen Wahlkampf vermutlich erfolgsversprechend, aber bedenken Sie die möglichen wirtschaftlichen Verwerfungen in der nächsten Wahlperiode!“ – Darf man bei Ihnen hinter verschlossenen Türen Tacheles reden? Oder ist das tabuisiert und Sie haben hauptsächlich Leute um sich geschart, die am besten wissen, was Sie hören wollen?

Ich könnte auch fragen: Wie erwachsen wird im Finanzministerium eigentlich diskutiert? Ich stelle mir diese Frage sehr ernsthaft. Und zwar nicht ohne Grund.

Aber natürlich können und werden Sie mir dazu nichts sagen.

Man kann ja parteiintern aus dem Fall Schröder lernen. Die Frage ist nur, was! Wie sehen Sie das? Hängt die Abwahl und der Stimmenverlust wie ein Damoklesschwert über einem SPD-Parteiführer, der sich deswegen jeden Beschluss, der der Wirtschaft und den Finanzen der Deutschen gut tun könnte, dreimal überlegt? Darf man den Bürgern schaden, wenn es dem politischen Überleben der Partei dient? Sollte man Gutes tun, auch wenn es die Partei Stimmen kostet?

Wie Sie zu alldem stehen, das jedenfalls kann ich als wählender Bürger und Betroffener Ihren Entscheidungen nicht entnehmen. Mir bleibt der Zweifel.

Und wie immer könnte ich diesen Brief genauso auch an jeden anderen Minister schicken. Aber jetzt schicke ich ihn nunmal an Sie, Herr Scholz.

Und mir würde es schon genügen, wenn Sie mir antworteten auf die Frage: Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie vorschlugen, den Banken zu verbieten, ihren Kunden und Kleinsparern Negativzinsen zu berechnen?

Ihr seiner Sache nie sicher seiender
Lars Vollmer

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Meinen sie’s nicht gut!


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