Brief an die BILD

Lars Vollmer

 
Der erste Teil von  „Einigkeit macht schwach!“ hat gleichermaßen nachdenkliche wie – sagen wir es diplomatisch: engagierte Rückmeldungen erzeugt. Wer hätte auch ahnen können, dass Donald Trump mit der Ab- und wieder Zusage des Nordkorea-Gipfels und der Aufkündigung des G7-Abkommens gleich wieder so viel Anlass zur Resonanzbildung gibt. Er ist halt *piep* –  da scheint weiterhin Einigkeit zu bestehen.

Schuldig geblieben bin ich Ihnen bis jetzt aber noch den offenen Brief an die BILD-Zeitung, den ich am Ende angekündigt hatte, um sie ein bisschen auf die essayistische Folter zu spannen. Mittlerweile habe ich diesen offenen Brief fertig geschrieben und ich habe ihn an den Chefredakteur Herr Reichelt adressiert. Er bildet sozusagen eine Art Fortsetzung, also etwa wie das Wäscheaufhängen nach dem Waschtag. Hier ist er:

 

Lieber Herr Reichelt,

Ihre Zeitung habe ich schon gelesen. In gewissen Kreisen ist das ja durchaus als Geständnis zu werten, aber ich bin da schmerzfrei. Ich lese das, was Sie schreiben, zwar nicht jeden Tag an der Tankstelle und ich habe ihre Publikation auch nicht auf Twitter abonniert, aber ich nehme Sie und Ihre Kollegen von der BILD bewusst wahr, und: Ja, confessio, ich habe mich auch schon riesig gefreut, wenn ich in Ihr Blatt geschaut habe!

Insbesondere über so manches sprachliche Zeugnis echten Kunsthandwerks. Ich meine damit nicht nur »Wir sind Papst!« und ähnliche brutal starke Titelzeilen, die ich gefeiert habe. Im Gegensatz zur Hauptstrommeinung weiß ich als Autor nämlich selbst sehr gut, dass populär zu schreiben schriftstellerisch oft weitaus anspruchsvoller ist als elaboriert klingende und fremdwortverzierte Schachtelsätze zu drechseln. Ich habe mir sagen lassen, dass nur die besten Journalisten bei Ihnen arbeiten.

Mit anderen Worten: Ich achte Ihr Blatt. Ich sehe in Ihrem Blatt keinen Schund. Und ich halte nichts von billigem BILD-Bashing. Ja, ich gehe so weit, dass ich es vielleicht sogar ein bisschen schade finde, dass Sie die nackten Frauen weggesperrt haben. Natürlich darf man so was in Zeiten von #metoo gar nicht öffentlich sagen, aber ich oute mich hier als aufgeklärter Ästhet, der dazu steht, dass er ein normal funktionierendes Limbisches System und einen Hypothalamus im Kopf hat.

So weit die Vorrede, damit Sie nicht in den falschen Hals bekommen, wenn ich Ihnen nun etwas auf die Pelle rücke.

Also, sagen Sie mal, bei der großen, ja fast schon draufgängerischen Selbstsicherheit, die Ihre Wertungen in Bezug auf die wirklich relevanten Fragen der Tagespolitik ausstrahlen: Sie wissen schon, dass Sie dabei permanent lediglich nur eine eigene Realität konstruieren, oder?

Ich meine nicht die Vorwürfe, Sie würden Falschmeldungen produzieren oder die öffentliche Meinung manipulieren. Da würde ich Sie insofern in Schutz nehmen, als das selbstverständlich alle tun. Das ist schlicht Teil Ihres Jobs und liegt erstens daran, dass Sie genauso wenig die Wahrheit kennen wie ARD/ZDF oder die Süddeutsche oder die taz oder Tichys Einblick, und zweitens, dass Sie und Ihre Leute selbstverständlich auch eine eigene, persönliche Meinung haben, die Sie schlicht nicht aus den Geschichten, die Sie erzählen, raushalten können/wollen/müssen.

Nur, Sie wissen ja, dass dieser Einfluss, den Sie haben – und in Ihrem Fall spielt der sicherlich in einer Liga mit dem Einfluss von Tagesthemen & Co. –, nicht unbedeutend ist. Sie verändern was in den Köpfen der Menschen. Sie bilden einen erheblichen Teil des Resonanzbodens, auf dem sich der Hauptstrom der Meinungen in diesem Land aufschaukelt. Sie machen Meinung.

Und gleichzeitig schauen Sie sehr genau dem Volk aufs Maul. Worin Sie sicherlich marktführend sind. Sie bilden also nicht nur die Basis für Stammtischgespräche und Familienvatersonntagstischpredigen, sondern Sie belauschen die Bürger auch famos und spülen angereichert zurück ins Volk, was Sie aufschnappen. Ihre Funktion ist also ein Hybrid aus Raffinerie, Düngemittelproduktion und Wiederaufbereitungsanlage. Mit anderen Worten: Sie beeinflussen Ihre Leser genauso, wie die Leser Sie beeinflussen. Sie sind funktionaler Teil eines riesigen Meinungsbrüters, der Hauptstrommeinungen ausbrütet.

Gut, das sind alle anderen Medienmarktteilnehmer auch, ob staatsfinanziert, frei wirtschaftend oder lobbyierend verstrickt. Aber nun schreibe ich eben gerade Ihnen.

Der Punkt ist: Wenn Sie doch wissen, dass die Hauptstrommeinung, die Sie mit ausgebrütet haben – sei es die zu Merkel, zu Trump, zu Putin, zur Flüchtlingskrise, zum Syrienkrieg, zur Ostukraine oder zu was auch immer – schlichtweg und prinzipiell nicht die Realität abbildet und genauso gut jeweils in eine andere Richtung hätte kippen können, dass also die Wahrheit, die Sie verkünden, selbstverständlich genauso konstruiert ist, wie die der anderen Redaktionen. Wenn Sie das doch wissen, und ich hoffe, Sie wissen das, wäre es dann nicht angebracht, dass Sie dazu auch öffentlich stünden? Wäre es dann nicht redlich und womöglich noch auflagenstärkend, wenn Sie einfach mal zugäben, dass Sie Demut vor der Komplexität der Welt haben? Dass Sie sie genauso wenig verstehen wie alle anderen auch? Dass das, was Sie schreiben, so nicht unbedingt stimmt? Dass Sie selbst auch zweifeln?

Ich durfte selbst noch nicht in Ihrer Redaktion hospitieren, darum ahne ich nur, wie Ihr Job alltäglich abläuft. Dennoch kann ich mir vorstellen, wie Sie hinter verschlossenen Konferenzzimmertüren darum ringen, was Sie veröffentlichen und welchen Tenor Sie dabei anschlagen. Und dass Sie bei alldem immer mitdenken, was andere schon geschrieben und vermeldet haben und insofern natürlich auch oft taktisch agieren, um sich beim jeweiligen Thema in die Position der Meinungsführerschaft zu bugsieren. Und dass Sie versuchen, einen gemeinsamen Glauben zu entwickeln, was das Volk gerade denkt und was es von Ihnen erwartet. Und dass diese Erwartungen selbstverständlich eine Rolle dabei spielen, wie Sie Informationen selektieren und werten und färben und drehen.

Nur: Wenn man Ihre Zeitung liest und Ihnen zuhört, dann denkt man, Sie glaubten tatsächlich, Sie hätten die Wahrheit gefunden!

Sie und ich wissen aber doch, dass das nicht stimmt. Weil es nicht stimmen kann.

Darum würde ich mir wünschen, Sie würden uns Normalsterbliche bisweilen auch an Ihren Selbstzweifeln, die hoffentlich vorhanden sind, teilhaben lassen. An Ihren Zweifeln, welche Themen denn nun wirklich wichtig sind. An Ihren Zweifeln, welchen moralischen Duktus Sie denn nun in die Meldung einmassieren sollten. An Ihren Zweifeln, mit welcher Wertung Sie den Artikel einsalzen sollten, bevor Sie ihn ins Rohr schieben.

Ich bin mir sicher, dass es auch in Ihren Konferenzen manchmal heiß hergeht. Können Sie das nicht auch mal transparent machen? Sie müssen ja keine Webcam mitlaufen lassen wie Böhmermann. Und vielleicht wäre dann alles auch wieder nur gescriptet und gespielt. Aber lassen Sie uns doch dennoch einmal Mäuschen spielen, dokumentieren Sie doch mal, wie das so läuft.

Ich wüsste nämlich gerne, ob Sie zweifeln.

Und wenn Sie zweifelten, dann wäre ich sehr beruhigt.

Ihr ewig zweifelnder

 

 

«« Teil I lesen: Einigkeit macht schwach

 


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Vollmers Waschtag
DAS ETWAS ANDERE PERIODIKUM
Lars Vollmer wäscht Schmutzwäsche in der Öffentlichkeit – also nicht seine eigene, sondern eher die der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. In seiner Publikationsreihe »Vollmers Waschtag« nimmt er seine Leser mit auf eine längere gedankliche Reise. Die Essays erscheinen online auf der Website des Autors und im handlichen Pocket-Format alle zwei Monate zum Lesen, Verschenken und Sammeln.
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  • Mario Rossetti
    16. Juni 2018 at 10:20

    Hallo Herr Vollmer,
    sie haben hier mit ihrer aktuellen Kolumne etwas erreicht was selten jemand mit seiner Schreiberei erreicht. Sie haben mit ihrer Wortwahl über all diese sensiblen Themen der wir ja Augenzeugen sind, mein Herz zum schwingen gebracht.

    Liebe Grüße und alles Gute
    Mario Rossetti
    p.s.
    ihr kleines Büchlein finde ich auch ganz passend. Ich erzähle manchmal etwas daraus wenn ich mit meinen Kollegen in der Arbeit in einem Meeting bin. Die Methapher mit den coolen Typen aus Ocean 11 finden Sie lustig. Aber sie wissen ja wie das mit so einer Sache ist. Erst lachen sie, dann …………….. !
    Es zeigt auf jeden Fall das wir Menschen Storys lieben.
    So wie sie es auch in ihrem Büchlein auf S.12 geschrieben haben:,,es ist allein unsere Wahl welches Menschenbild wir wollen. Wir bekommen was wir uns wünschen.

  • Timo Kaapke
    16. Juni 2018 at 17:07

    Wow! Ein Meisterwerk, Lars!

  • Gert Adameit
    17. Juni 2018 at 09:02

    In meinen bisher 66 Lebensjahren sind Sie der Erste, der es geschafft hat, mein Verhältnis zur BILD etwas zu entspannen und lieb gewordene Vorurteile zu überdenken. Danke.

  • Ivo
    21. Juni 2018 at 16:41

    Hmm, wollen die Menschen denn wirklich hören, dass jemand zweifelt?
    Dass es niemanden gibt, der diese Welt versteht?
    Dass es kein schwarz und weiß, sondern ganz viel grau und – Gott behüte – am Ende noch eine viel breitere Farbpalette gibt?
    Ich habe schon an vielen Stammtischen gesessen und gerade dort, wo die Bild zitiert wurde, wollte man die Wahrheit und die einzig wahre Wahrheit zitieren. Man wollte keine anderen Wahrheiten erkennen, oder gar nur ein bisschen abweichen. Ich habe meine Meinung geBILDet, verwirr mich nicht mit Tatsachen.
    Ist es nicht das, was die BILD den Menschen gibt in diesen verwirrenden Tagen?
    Eine Wahrheit, die meine Empfindungen erklärt, in einer Welt, in der ich nicht mal weiß, wieso ich eigentlich gerade auf meinen Nachbarn losgehen könnte?
    Ich glaube, wenn die Bild zugibt, etwas nicht zu wissen, ist das nicht gut für die Auflage…!
    Vg Ivo

    PS: Wenn ich aber die Fragezeichen in so manchem Artikel der Bild zähle, könnte man statistisch fast auf die Idee kommen, die Bild wissen gar nichts 😉

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