Widerstand ist zweckvoll!

Lars Vollmer

Zufällig beobachte ich von meinem kleinen Balkon aus (der Blick über den Hafen von Barcelona ist atemberaubend, aber ich will hier nicht zu sehr angeben) einen Klassiker des Alltags: Einer will rückwärts einparken, ein anderer drängelt sich geschwind vorwärts in die Parklücke. – Also die archetypische Aufreger-Szene, die sich in jeder Großstadt der Welt mehrmals täglich abspielt.

Aber hier haben wir es mit stolzen, heißblütigen Spaniern zu tun! Der um den Parkplatz Betrogene steigt aus, der andere Fahrer auch, und schon wird es laut! Die beiden debattieren, könnte ich beschönigend sagen. Ich könnte auch sagen: Sie schreien sich an. Sie gestikulieren. Sie drohen. Sie beschuldigen sich. Sie verteidigen sich. Sie bekriegen sich mit Worten.

Ich fange Wortfetzen auf, die bis zu mir nach oben auf den Balkon dringen. Es geht wirklich zur Sache bei den beiden. Sie beleidigen sich. Und das ist natürlich interessant. Dementsprechend bleiben immer mehr Passanten stehen. In kurzer Zeit bildet sich ein Ring von Schaulustigen um die beiden Streithähne. Sie wohnen dem Ereignis bei. Sie geben ihm so viel Bedeutung, dadurch dass sie ihre Aufmerksamkeit darauf ausrichten und damit Teil des Ereignisses werden.

Auch ich verfolge gebannt den Streit von hier oben, ich geb’s ja zu. Wie weit würden die beiden gehen? Werden sie handgreiflich werden? Ich kann nur wenig verstehen. Aber bald wird mir klar, dass es sich nicht um zwei Spanier, sondern um einen Spanier und einen Katalanen handelt.

Oh! Damit bekommt die Auseinandersetzung augenblicklich politische Relevanz. Interessant! Ich hole mir jetzt kein Kopfkissen für die Balkonbrüstung, aber ich bemerke, wie ich den Menschenauflauf amüsiert bis fasziniert zur Kenntnis nehme und nun wissen will, wie es ausgeht.

Der Ton wird aggressiver. Der Ring von Menschen wird dichter. Ich sehe, wie die Menschen auf der Hafenpromenade stehen bleiben, sich umwenden und zu der Menschentraube strömen. Es werden immer mehr.

Der Katalane reißt den Fond seines Autos auf und holt eine Separatistenflagge hervor, die er jetzt wild schwenkt und dabei dem Spanier mit der Faust droht. Der schreit ihm etwas entgegen. Der innere Ring der umstehenden Menge zieht sich zusammen, ich sehe Arme, die die Streithähne anfassen, mitgestikulieren. Das Stimmengewirr schwillt an, ich kann gar nichts mehr verstehen, aber es wird immer lauter. Ich sehe, wie sich Menschen schubsen. Ein Gegenstand fliegt. Ich sehe, wie sich zwei Menschen gegenseitig am Kragen gepackt haben, verzerrte Gesichter.

Das Ganze wird mir unheimlich. Zuerst höre ich, dann sehe ich ein vergittertes Polizeiauto. Es ist die schwarz uniformierte Mossos, die katalanische Polizei, und die sind bekanntlich für die Abspaltung Kataloniens von Spanien. Mit Verlaub, das sind Typen, mit denen wollen Sie und ich lieber nichts zu tun haben. Also die ganz harten Jungs. Die sehen alle aus wie Sergio Ramos von Real Madrid und Gerard Piqué von Barça, richtige Schränke mit breiten Kiefern und viel Testosteron. Ich sehe jetzt drei, vier von den Mossos-Autos.

Immer mehr Leute rennen zum Ort des Tumults. Es fliegen Fäuste. Die Mossos prügelt mit Schlagstöcken auf Köpfe. Es fließt Blut. Die Stimmung kocht immer weiter hoch. Die Polizisten werden abgedrängt. Ich sehe einen Mann mit einer Holzlatte um sich schlagen. Eine Frau rennt schreiend weg. Jetzt fliegen Tränengas-Granaten. Menschen rennen. Immer mehr schwarz uniformierte Polizisten treffen ein, sie haben Plastikschilde und Helme und Knüppel. Steine fliegen ihnen entgegen. Da fällt ein Mann ins Hafenbecken. Mittlerweile sehe ich tausende Menschen da unten.

Ich bemerke, wie mein Mund offen steht. Ich bin entsetzt, das sieht aus wie Bürgerkrieg da unten. Es gibt Verletzte, vielleicht Tote, eine Straßenschlacht ist im Gange, Sirenen heulen. Da höre ich einen Schuss!

Kolossal übertrieben

Nein, nein. So war das nicht. In Wahrheit ging der Streit zwischen den beiden Autofahrern um die Parklücke aus wie das Hornberger Schießen: Ein Busfahrer hielt an, stieg aus und wollte schlichten. Da stieg der Unterlegene fluchend in sein Auto und fuhr weg. Der Parkplatzgewinner grinste. Die Passanten, die stehen geblieben waren, gingen weiter. Die Sonne schien. Ich ging rein, um mir einen Kaffee aufzugießen.

Aber es HÄTTE eine Straßenschlacht daraus werden können. Es KANN passieren. Wir wandeln auf dünnem Eis. Wenn nur ganz bestimmte Reize in einer ganz bestimmten Situation auf ganz bestimmte Menschen treffen, kann eine Erregungsspirale entstehen, die sich in immer größere Höhen schraubt. Ein Funke reicht aus und eine Menschenmasse beginnt blindwütig einen Kampf. Es wäre nicht das erste Mal. Eine Provokation mag genügen.

Zumal wir in einer Massengesellschaft leben, verbunden durch Massenmedien und Social Media und ihrer brandbeschleunigenden Logik. Eine Provokation mag genügen! Denn wir leben ja in einer Zeit zunehmender Unsicherheit, was die Zukunft bringt. Ich würde sogar behaupten: Da es noch nie in der Menschheitsgeschichte so viele parallel verlaufende Entwicklungen gab wie heute, wir noch nie so viele Informationen auf einmal über diese Entwicklungen erhielten wie heute, entstand in den Köpfen noch niemals so viel Unsicherheit über die Zukunft wie heute.

Ich weiß nicht, ob Sie dieses Gefühl kennen, aber manchmal, wenn ich morgens aufwache, denke ich: Wenn ich jetzt gleich ins Smartphone schaue, könnten die Schlagzeilen davon künden, dass wieder irgendwas Gravierendes, Weltbewegendes, Gefährliches passiert ist. Man wacht auf und die Welt ist eine andere. Ich bin sozusagen stets auf alles gefasst. Es könnte jederzeit krachen! Schon morgen könnte sich ein vollständiger Zusammenbruch der Wirtschaft, des Euro-Systems, der EU, der Bundesrepublik, der Weltordnung ereignen. Reißt morgen der Golfstrom im Nordatlantik ab? Kollabiert morgen das fragile Schuldensystem der EU? Explodieren morgen Raketen über Teheran? Erreichen wir irgendeinen Kipp-Punkt der hochkomplexen Biosphäre unseres Planeten?

So viele Nachrichten umschwirren uns jeden Tag und erzeugen genau dieses Gefühl der Unsicherheit. Vielleicht existiert diese Unsicherheit gar nicht wirklich. In der Muttermilch waren früher vermutlich genauso viele Schadstoffe wie heute, sagt der gesunde Menschenverstand – aber heute können wir die Schadstoffe messen! Und aus dem Messwert entsteht ein Grenzwert. Und der Grenzwert wird überschritten. Und das ist eine Nachricht, die uns erreicht. Wer weiß, was wir noch alles zu uns nehmen, ohne es messtechnisch analysiert zu haben? Ja, es ist nur ein Gefühl der Unsicherheit, das so entsteht! Aber dieses Gefühl wird stärker.

Wir modernen, allzeit vernetzten Menschen lernen, damit klarzukommen, aber so eine extreme, permanente Unsicherheit hat noch nie zuvor existiert – zumindest nicht in Friedenszeiten. Ich denke, darauf können wir uns einigen.

Angst und Ressentiments entstehen aus Unsicherheit. Das ist logisch: Sobald ich mit etwas Fremdem konfrontiert war, ist es wenigstens nicht mehr fremd – die Unsicherheit wurde reduziert, wir wissen: Nicht mehr alles ist möglich.

Wenn ich in eine Welt in der Zukunft reisen könnte, 40 Jahre von heute entfernt, dann würde ich vermutlich feststellen, dass die Menschheit noch existiert, die Hafenpromenade von Barcelona wird vermutlich immer noch fröhlich belebt sein und auf meinem Kopf würden nach wie vor keine Haare wachsen. Ein solcher Blick in die Zukunft würde meine Unsicherheit augenblicklich absorbieren. Mit einer solchen Perspektive erschiene plötzlich vieles, was in den Nachrichten im Fernsehen, im Radio, in den Zeitungen und in den Social Media zu lesen und zu hören ist, kolossal übertrieben.

Das Spiel mit der Angst

Weil wir aber die Technologie des Zeitreisens noch nicht erfunden haben, verfügen wir über keinen solchen beruhigenden Blick in die Zukunft. Die Ängste aus Unsicherheit sorgen dafür, dass wir das Schlechte, das wir heute wahrnehmen, in die Zukunft extrapolieren und damit in unserer Vorstellung aufblasen. Was die Ängste in der Gegenwart nur noch vergrößert.

Zu viert am Abendbrottisch können Debatten und Diskussionen helfen, die Unsicherheit in den Griff zu bekommen: Dort argumentieren, differenzieren, hinterfragen, relativieren wir, und dabei geht uns der Gaul auch nicht gleich durch: Wir kommen zu klugen Sowohl-als-auch-Positionen. Aber in den großen Debatten in der Öffentlichkeit funktioniert das ganz anders! Da spielen Ängste eine ganz andere Rolle.

Lassen Sie mich es mal an einem Beispiel konkret machen: Eine Zeit lang hatte in Deutschland die Debatte um Rechts und die AfD eine Pause eingelegt. Die Schlagzeilen widmeten sich anderen Ereignissen, die Talkshows wurden mit anderen Themen befüllt, die Diskussionen in den Social Media tobten um andere Phänomene.

Das Thema wurde überlagert, runtergekocht. Also gab es für die Redaktionen diese Diskussionen, diese Debatten, diesen Streit um Rechte, Rechtsradikale, Rechtsextreme nicht mehr, weil man nicht mehr drüber redete. Oder eben viel weniger als zuvor.

Aber plötzlich ist das Thema wieder voll da!

Warum? Weil einem ganz bestimmten Mord Relevanz zugeschrieben wurde. In Deutschland wird jeden Tag irgendwo jemand ermordet. Beziehungstaten, Raubmorde, Ehrenmorde, Morde von Deutschen an Deutschen, von Ausländern an Ausländern, von Deutschen an Ausländern und umgekehrt. Alle diese Morde waren und sind keine Schlagzeile wert, die großen Redaktionen sagen dann, wenn man sie fragt, die Tötungsdelikte hätten lediglich „regionale Bedeutung“ und sie müssten/wollten/sollten darum nicht darüber berichten. Aber diesem einen Mord wurde überragende, nationale Relevanz zugeschrieben. Und plötzlich brach die Debatte um Rechts und um die AfD wieder los.

Natürlich spreche ich vom Mord an Walter Lübcke, einem CDU-Politiker, Mitglied des hessischen Landtags und Präsident im Regierungsbezirk Kassel. Der Tatverdächtige ist ein Rechtsextremist.

Ich bemerkte den Themenumschwung und fragte mich: Warum eigentlich ist dieser Mord den Journalisten und den Politikern so extrem wichtig – im Vergleich zu allen anderen Morden, die sich in Deutschland ereignen?

Also, ich frage das aus reiner Neugier und purem Interesse, denn ich halte das keineswegs für selbstverständlich und ich will einfach wissen, wie das funktioniert: Warum kochen die einen Themen hoch und die anderen nicht? Warum flammen manche Diskussionen auf und andere nicht? Wodurch wird das öffentliche Interesse gesteuert und wie?

Was Ideen stark macht

Gut, also los! Das Erste, was mir auffällt: Ich rieche die Angst. Die Redaktionen reagieren so nervös und sensibel auf Taten von Rechtsextremen und auf jeden Spielzug der AfD, weil die Menschen eine tief sitzende Angst haben vor Rechts. Sie ist eingebrannt ins kollektive Kleinhirn, es ist die naive, platte Angst, dass der Adolf wieder aufersteht. Und das darf nie wieder passieren! Diese kollektive Angst ist ein Muster, das sich fortsetzt, auch wenn wirklich keiner von den Nationalsozialisten mehr lebt. Dieses kommunikative Muster, diese Angst vor Rechts ist übermächtig – egal wie man das nun moralisch bewertet, das Muster ist halt nun mal da.

Aber mir ist etwas sehr Interessantes klar geworden: Dieses kommunikative Muster existiert sehr stark im Westen Deutschlands, im Gebiet der alten Bundesrepublik – aber lange nicht so stark im Osten! Was den deutlich stärkeren Zuspruch der Wähler und die hemmungslosere Rhetorik der AfD-Politiker in den neuen Bundesländern erklären könnte. In Deutschlands Osten herrscht viel stärker eine ganz andere Angst: Nämlich die Angst vor der Wiederkehr der DDR. Also Angst vor Links. Genau umgekehrt wie im Westen.

Im Westen gibt es vergleichsweise wenig Angst vor dem Sozialismus. Da können Politiker hemmungslos von Enteignung und Abkehr vom Kapitalismus schwadronieren, denn im Kalten Krieg ging es den meisten Westdeutschen blendend, niemand hat im Alltag gegen den Sozialismus gekämpft, niemand hat darunter gelitten, darum haben sich auch kaum entsprechende Ängste eingegraben.

In den ostdeutschen Bundesländern dagegen kämpften die Menschen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts täglich gegen einen sozialistischen Unrechtsstaat. Jedenfalls diejenigen, die nicht mit dem Regime kollaborierten. Das ist eine ganz andere Erfahrung und daraus entstand ein ganz anderer Resonanzboden.

West- und Ostdeutschland sind durch diese prägenden Erfahrungen auch nach 30 gemeinsamen Jahren noch extrem unterschiedlich gepolt. Sie gehen bei unterschiedlichen Themen in Resonanz, lassen sich von unterschiedlichen Themen an- und aufregen und gehen sich darum auch noch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gegenseitig auf den Wecker.

Witze über die Zitteranfälle Merkels? Macht man doch nicht!, sagt der Wessi. – Aber die Ostdeutschen haben eben nur mit beißendem Humor die jahrzehntelangen Repressalien der Stasi ertragen können. Sie haben tief verinnerlicht: Humor ist die schärfste Waffe gegen Political Correctness. Als die Volkskammer Erich Mielke ausgelacht hat, war die DDR erledigt. Humor gewinnt. Also wird jetzt Angela Merkel Zielscheibe des Spotts, weil sie gesundheitliche Probleme hat.

Das wiederum wird von den Wessis als Provokation aufgefasst: Die Ossis leisten Widerstand gegen die guten Absichten der Westdeutschen und ihre moralischen Werte: So was macht man doch nicht! – Und wegen einer solchen Kleinigkeit schaukelt sich dann wieder eine Erregungsspirale hoch, die das Land spaltet: Die Wessis (natürlich nicht alle!) schießen gegen die Ossis und ihre scheinbare Affinität zu Rechtsradikalen zurück. Und die Ossis (natürlich auch nicht alle!) wehren sich gegen die Besserwessis und ihr Gutmenschentum und so weiter. In den sozialen Netzwerken beleidigen sich die Menschen wegen solcher Nichtigkeiten, was das Zeug hält. Und Basis für diesen permanenten Kleinkrieg in den Köpfen sind die darunter liegenden unterschiedlichen Ängste.

Was aber die meisten Menschen nicht verstehen: Mit dem erregten Widerstand gegen als feindlich empfundene Ideen werden diese nicht schwächer, sondern stärker!

Weil das in großen, komplexen sozialen Systemen nun mal grundsätzlich so läuft: Bedeutung hat, was Aufmerksamkeit erhält. Ob diese Aufmerksamkeit nun negativ oder positiv ist, spielt keine Rolle.

Mit anderen Worten: Indem westdeutsche Politiker vor den anstehenden ostdeutschen Landtagswahlen die AfD aus allen kommunikativen Rohren beschießen, um sie zu bekämpfen, verleihen sie dem Phänomen AfD Bedeutung und machen deren Ideen stärker und stärker. Ich prophezeie: Sie werden das im Herbst an den Prozentzahlen am Wahlabend ablesen können.

Denn es gilt: Wenn du eine Idee stärken willst, lasse sie bekämpfen!

Sie haben’s nicht im Griff!

Das heißt, dass Sie, wenn Sie heutzutage eine Idee stärken wollen, diese provokativ zuspitzen müssen. Falsch verstanden zu werden ist dann ein probates Mittel. Oder etwas Falsches behaupten, das gut, plausibel, eingängig klingt und darum anschlussfähig ist, obwohl es trivialisierend und unterkomplex ist. Zu differenzieren würde eine Idee schwierig klingen lassen, was sie weniger anschlussfähig macht.

Den Ideenwettstreit gewinnt dann diejenige Gruppierung, die geschickter darin ist, die Meinungshoheit zu erringen. Dazu muss die Gruppierung einen vereinfachten kommunikativen Referenzpunkt setzen – durch provozierende Zuspitzung. Also etwa: In zwölf Jahren geht die Welt unter, wenn wir nicht jetzt den Kapitalismus abschaffen! Oder: Der Diesel muss weg! Oder: Merkel muss weg! Oder: Refugees Welcome! Oder: Kohleausstieg jetzt! Oder: Kernkraft nein danke! Oder: Ausländer raus! Oder: Europa ist die Antwort! Oder: AfD ist Nazi! Oder: Die enthemmte Sprache der AfD ist schuld am Lübcke-Mord! Oder: Merkel installiert die nächste DDR!

Jeder kommunikative Referenzpunkt, der so gesetzt wird, sollte tunlichst eine starke Angst ansprechen. Das funktioniert am besten. Und an den Wahlergebnissen können Sie dann ablesen, wer das im Deutschland des Jahres 2019 am besten beherrscht: Nämlich die jüngsten Parteien: Die AfD und die Grünen. Überfordert dagegen sind offenbar die Parteien, die noch in der alten Bonner Republik brav und sachlich diskutiert und differenziert haben wie am Abendbrottisch bei uns zuhause. CDU, SPD und FDP haben offenbar noch nicht so gut verstanden wie die Grünen und die AfD, wie Ideen groß werden: Durch Widerstand!

Allerdings behaupte ich jetzt mal, dass weder die Grünen noch die AfD die Erregungsspiralen, die sie auslösen, im Griff haben. Sie sorgen derzeit für eine Radikalisierung an beiden Enden des alten Links-Rechts-Spektrums. Der Diskurs entgleitet ihnen. Ich weiß nicht, was da noch alles passieren kann bis zur nächsten Bundestagswahl. Ich weiß nicht, ob das alles nicht doch noch sehr rasch in Tumult und Gewalt abkippen kann.

Ich weiß es nicht.

Ich weiß nur: Überlegen Sie sich gut, gegen was Sie Widerstand leisten! Wenn Sie sich über etwas aufregen: Denken Sie erst nochmal nach, welches Wasser Sie auf welches Mühlrad gießen und welchen Mühlstein Sie damit antreiben!

Lieber Uli Hoeneß

Ideen werden wie kleine Kinder erstmal hässlich geboren. Dann wächst das Kind in einer Familie auf, trifft mehr und mehr auf die Welt da draußen und bildet nach und nach einen Charakter aus – durch die Auseinandersetzung mit den sozialen Systemen, die das Ideenkind umgeben.

Ideen brauchen also wie Kinder Widerstand, um groß werden zu können. Sie brauchen Zeit, sie brauchen Menschen, die sich mit ihnen beschäftigen. Menschen, die sich um sie scharen, um sie zu befördern oder um sie abzulehnen. Eine Idee braucht Auseinandersetzung, um existieren zu können!

Die Kommunikation über eine Idee ist ihr Nährboden. Sie wächst und wird widerstandskräftiger, wenn die Kommunikation über sie anschwillt. Die Idee nimmt die Gegenargumente genauso wie die Pro-Argumente auf wie Dünger und Nährstoffe und wird dadurch robuster. Sie entwickelt sich weiter und integriert den Widerstand, überwindet so ihre Schwachstellen und wird stark. Das heißt: wirkungsvoll.

Darum: Das einzige, was einer, der wirkungsvoll kommunizieren will, nicht gebrauchen kann, ist Angst vor Widerworten!

Keine Angst vor Widerworten? Da fällt mir spontan Uli Hoeneß ein. Also, wenn einer in seinem Wirkungsfeld den öffentlichen Diskurs über viele Jahrzehnte angeführt hat, indem er permanent aneckt, dann war das Uli Hoeneß.

Diesem streitbaren Zeitgenossen würde ich darum gerne mal einen Brief schreiben. Das ist nur so eine Idee. Aber ich glaube, ich mache das jetzt mal …

Weiter zu Teil 2:
Offener Brief an Uli Hoeneß


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  • Claus Meyer
    19. Juli 2019 at 16:35

    Zukunft
    Hört man auf die vielen Wissenschaftler, die alle heute schon große Bedenken haben, dass die Klimakatastrophe mit solchen Mitteln wie der CO2-Steuer nicht zu lösen ist. Dabei sind eine Anzahl Länder schon öfter durch eine Klimakatastrophe schwer getroffen, aber auch wir spüren es schon heute. Nur die Medien aber auch die Regierung versuchen immer noch alles, das Problem herunter zu spielen. Wir alle und noch mehr die Jugend sind die schwer Betroffenen.
    Mit Sicherheit scheitert die Lösung des Problems am heutigen Geldsystem. Das kann nicht im Interesse aller sein. Staaten müssen bei Banken um Geld betteln und das Geld ist immer mit Zinsen behaftet ist. Es scheitert somit am heutigen Geldsystem. Die Klimakatastrophe hat aber schon Ausmaße angenommen, das eine schnelle Änderung der Art zu leben fordert. Das kann nur ein Geldsystem, das nicht auf Sicherheit aufgebaut ist, sondern Geld dann zur Verfügung stellt, wenn es gebraucht wird. Viel wichtiger ist dabei, dass die erforderlichen Kräfte für solche Änderung greifbar sind. Es wäre ein unverantwortliches Manko, wenn diese Abhängigkeiten nicht von allen rechtzeitig erkannt würde.
    Dabei ist die Herstellung von Geld doch kein Problem. Schwieriger ist nur das Verständnis zu dieser Art Geld herzustellen. Dann ist der Staat der alleinige Erzeuger von Geld. Geld muss allein ein Hilfsmittel zum sinnvollen Umgang miteinander sein. Wenn der Staat Geld herausgibt, dann profitieren doch alle davon. Und gerade bei solchen Problemen wie die der Klimakrise darf doch Geld nicht der Grund für die Durchführung sein. Es müssen alle notwendigen Änderungen schnellstens durchgeführt werden. Leider ist das eingeschränkte Denken aller Verantwortlichen hier die große Bremse.
    Es ist wirklich höchste Zeit, dass wir uns im Energieverbrauch schnellstens einschränken müssen. Und hier darf die Umstellung doch nicht an Geld scheitern. Unterstützend dabei ist sicher die direkte Demokratie. Das neoliberale Denken ist sehr stark mit dem Großkapital verknüpft, da hat des Volkes Wille die nötige Unabhängigkeit, Umstellungen vorzunehmen. Es werden heute leider viele wichtige Informationen von den Medien zurück gehalten. Ein Manko, dessen Ursache auch im heutigen Geldsystem zu suchen ist. Wir müssen hoffen, dass alle Macht dem Volk durch die direkte Demokratie übertragen wird und dazu gehört dann auch die Kontrolle der Medien.
    Wenn dann endlich diese riesigen Nachteile des heutigen Geldsystems verstanden wurde, dann ist sicher das bedingungslose Grundeinkommen auch durchführbar. Wir alle sind voneinander abhängig und können uns diese Ausbeutung der Erde nicht mehr erlauben.

    Das geht uns alle an und die Klimakrise ist keine aufschiebbare Angelegenheit. So sollten wir schon im Interesse unserer Jugend möglichst Viele informieren und initiieren, weitere Mitmenschen aufzuklären, die Zeit drängt.

  • Michael Becker
    26. Juli 2019 at 22:56

    Guten Abend Herr Vollmer,

    Ihr Gedanke, dass „im Osten Angst vor Links, im Westen dagegen Angst vor Rechts“ herrsche … interessant, da denkt einmal jemand quer.

    Mich würde interessieren, ob Sie dazu Quellen haben? Studien, wissenschaftliche Untersuchungen, Befragungen. Ich habe danach gegoogelt, und eine Quelle gefunden (SPON-Umfrage, Spiegel vom 27.6.). Finde ich, so kurz nach dem Lübke-Mord, nicht besonders tiefgreifend. Mehr habe ich nicht gefunden, vor allem keine Studien oder sonstige wissenschaftliche Untersuchungen.

    Was nicht überrascht, dass Ihre These (darf ich das so nennen?) „Im Osten hat man Angst vor Links“ sich so gar nicht deckt mit den gängigen Erklärungsversuchen. Dort ist eher von Zurücksetzung, nicht gebraucht sein, Abwanderung der Jungen und Agilen, Sehnsucht nach dem Staat, der alles regelt, Arbeitsplatzverluste … die Rede. Angst vor Links kommt da eher nicht vor.

    Nicht überrascht, sondern klar gegenteiliger Meinung bin ich bzgl. Ihrer These „Der Westen hat Angst vor rechts“. Woran machen Sie das fest? An Zeitungsartikeln etwa? Ja, Spiegel, Süddeutsche, sogar einige FAZ-Redakteure warnen zunehmend vor „Rechts“ … aber doch genau deshalb, weil es im Westen eben keine Angst vor Rechts gibt.
    Zumindest nicht in Staat, Justiz, Politik, Polizei – denn wie erklären Sie sich die über Jahrzehnte verschleppte Aufklärung der NS-Verbrechen, die 10 Jahre NSU, den hinhaltenden Widerstand, Taten als rechtsextrem zu bezeichnen und zu verfolgen (Oktoberfest-Attentat, Amoklauf im Olympia-Einkaufszentrum), die in allen westdeutschen Bundesländern übliche Praxis, rassistisch motivierte Taten als „Einzelfall“ zu verharmlosen?

    Zum Gegenteil („Der Westen hat eine Links-Phobie“) fällt mir ein: Radikalenerlass, massive Polizeieinsätze gegen linke Demonstranten (wobei ich diese Einsätze nicht verurteile … aber ich erinnere mich nicht an vergleichbare Einsätze gegen rechts Demonstranten oder den Pegida-Mob). Und d.a.s Feindbild im Westen ist ja immer noch Rot-Rot- oder Rot-Rot-Grün-Koalitionen 😉

    Ja, ich weiß – ebenfalls alles keine wissenschaftlich fundierten Studien, was ich hier aufführe. Aber doch ein paar mehr Fakten als Sie zu Ihrer These genannt haben.

    Also: Haben Sie was?

    Mit freundlichen Grüßen
    Michael Becker

    • Lars Vollmer
      9. August 2019 at 12:17

      Lieber Herr Becker,

      danke fürs Nachbohren.

      Der US-Weltkriegspräsidenten Roosevelt war der Auffassung, dass Politik dann gute Politik ist, wenn sie den Menschen die Angst nimmt. Ich habe mich schon häufiger gefragt: gut für wen eigentlich?

      Unabhängig davon: um dem Roosevelt-Prinzip zu folgen, müssen die Mandatsträger zunächst Ängste erkennen oder den Bürgern bestimmte Ängste unterstellen, um dann zu versuchen, sie zu „nehmen“ oder eben die Ängste als unbegründet zu verharmlosen. In den verschleppten Aufklärungen der NS-Verbrechen, dem NSU-Skandal, dem Widerstand, Taten als rechtsextrem zu bezeichnen oder auch zu den Radikalenerlass, Polizeieinsätze beim G7-Gipfel usw., also den Erscheinungen, die Sie völlig zurecht angeführt haben, erkenne ich eine Bestätigung meiner These.

      Mit bestem Gruß
      Lars Vollmer

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