Offener Brief an den Weihnachtsmann
Lieber guter Weihnachtsmann,
darf ich du zu Ihnen sagen? Sie haben die Seniorität, das weiß ich, aber ich bin schon so lange Kunde bei Dir, da erlaube ich mir das jetzt einfach mal, so wie kleine Kinder das mit Erwachsenen auch machen.
Zu Anfang unserer Geschäftsbeziehung war ich, glaube ich, noch ein sehr naiver Kunde von Dir. Ich sang allen Ernstes Lieder, dann war Bescherung und ich tat nichts weiter, als meine Augen leuchten zu lassen, einfach, weil ich mich so schlicht und begeistert über die Geschenke, die Du mir gebracht hattest, gefreut habe.
Das ferngesteuerte Auto damals war so heiß ersehnt und es brachte mir mindestens fünf bis zehn Tage derart viel Freude, dass ich jede gesunde Kritik als mündiger Konsument vergaß. Ich muss einräumen, dass ich das Spielzeugauto nach dieser euphorischen Phase, spätestens als die Schule wieder angefangen hatte, nur noch selten benutzte, aber immerhin war diese Erfahrung so intensiv, dass ich mich noch heute daran erinnere. Danke dafür!
Mit den Jahren wuchsen immer weniger Haare auf meinem Kopf und damit korrelierte positiv meine anschwellende Kritik an Dir. Sicherlich auch geprägt durch die vielen Kommentare von anderen, begann ich zu hinterfragen, ob das, was Du tust, wirklich so gut für die Menschen ist. Oder ob ich Dich wegen dieser Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes nicht eigentlich schelten müsste.
Und machen wir uns doch mal ehrlich: Es ist ja wirklich krass, wie früh im Jahr Du schon anfängst Produkte auf den Markt zu werfen. Und jedes Jahr früher! Lebkuchen schon Ende August! Und wenn es auf Advent zugeht, musst Du es unbedingt immer und überall blinken und glitzern lassen. Dein Marketing wird immer aufdringlicher! Immer noch mehr Lichterkränze. Du musst das doch auch mal unter ökologischen Gesichtspunkten betrachten: Der immense Energiebedarf, den Du verursachst, sowohl für den Lichterkram als auch für die Herstellung all der Geschenkprodukte. Das musst Du doch ins Kalkül ziehen! Und all die Verpackungen, die Du mitverschenkst. Du weißt doch ganz genau, dass das nicht gut für die Welt ist!
Wenn ich als nächstes daran denke, wie viele Rentiere Du beschäftigst … die stoßen ja alle Methan aus, eines der schlimmsten Treibhausgase! Hinzu kommt, dass Deine Rentiere immer weitere Wege machen müssen. Ich sage nur: Spielzeug aus China unter deutschen Weihnachtsbäumen. Jede Puppe und jeder Elektronikbaukasten haben ja schon zehntausende dieselverrußte Schiffskilometer gefressen, bevor sie mit giftigen Batterien betrieben werden, die Cadmium, Quecksilber und Blei enthalten. Vom Tierschutz und den Arbeitsbedingungen Deiner Rentiere will ich gar nicht erst anfangen!
Und die Psychologie hinter Deinem Business ist auch nicht ohne. Es ist eigentlich sogar ziemlich perfide, wie Du vorgehst: Du verschenkst nicht einfach nur Sachen, sondern Du schaffst bereits bei kleinen Kindern ein suchtartiges Bedürfnis nach Geschenken. Und das schon bei sehr kleinen Kindern! Du darfst Dich glücklich schätzen, dass Du von den Suchtpräventionsverbänden und den Behörden noch nicht ins Visier genommen worden bist.
Lass mich Dir eines noch vorwerfen: Das ganze Plastikspielzeugs landet letztlich ja doch zu einem gewissen Teil im Meer. Und da, lieber guter Weihnachtsmann, gehört es verflucht noch eins nicht hin! Ich möchte nicht wissen, wo mein ferngesteuertes Spielzeugauto von einst heute in Einzelteilen zerschreddert der Fauna das Leben schwer macht. Vermutlich kann ich nur hoffen, dass es verbrannt wurde und dass die damit einhergehende Belastung der Atmosphäre mittlerweile abgebaut worden ist.
Und trotzdem! Ich gebe es zu. Trotzdem bewundere ich Dein Geschäftskonzept, Deine Idee, denn Du quatscht nicht bloß rum. Du tust ja was. Ausgehend von Deiner hehren Mission, die Menschen zum Lachen zu bringen und fröhlicher sein zu lassen. Fröhliche Menschen sind bessere Menschen! Darüber schreibst Du weder Kolumnen, noch absolvierst du Talkshowauftritte. Du laberst nicht in Mikrofone, dass Du Kinderaugen leuchten lassen willst. Du schreibst keine Blogs oder Facebook-Posts, dass Schenken verbindet und die Familie doch das wichtigste und dass ein Geschenk ein Ausdruck von Liebe sei. Nein. Du schreibst auch keine offenen Briefe.
Im Gegenteil: Du ziehst Dich ziemlich konsequent aus der Medienlandschaft zurück. Stattdessen tust Du selber was. Du hast ein Business aus deiner Idee gemacht! Ein florierendes, weltumspannendes Business. Mit diesem Business beglückst du nicht nur regelmäßig hunderte Millionen von Menschen, Du bringst obendrein auch noch hunderte von Millionen Menschen in Lohn und Brot, schaffst Wohlstand und beseitigst Armut, indem Du das Geld zirkulieren lässt. Geld für Geschenke. Was für eine grandiose Idee!
Mein lieber guter Weihnachtsmann, davor habe ich höchsten Respekt.
Ich gönne Dir, dass Du Dich nicht kleinkriegen lässt von den ganzen Spaltern und Nörglern und denen, die mit Moralin in der Feder schreiben, man müsste mal …, man sollte aber … Du setzt mit deiner Schaffe-net-schwätze-Mentalität einen so großartigen Kontrapunkt zu den Neunmalklugen, den Wir-müssen-Schwätzern. Du hast die gute Sache in die Hand genommen und aus dem moralischen Wunsch nach mehr Freude und Glück unter den Menschen ein Business gemacht. Du bist ein Vorbild. Ein Role Model, sagt man heute! Und ich gönne Dir jeden Erfolg!
Pass bitte auf diese ganzen moralischen Strömungen und ideologischen Untiefen auf, die heutzutage die Gewässer gefährlich machen. Lass Dir davon bloß nicht das Geschäft verderben! Du kannst das vielleicht sogar geschickt nutzen, wenn Du das weiterhin so klug beobachtest. Die ökologischen, die veganen, die Völkerverständigungs- und Friede-Freude-Eierkuchen-Trends kannst du ja für teure und moralisch hochwertige Geschenke nutzen. Ich bin gespannt, was Du in den nächsten Jahrzehnten noch so alles ausliefern wirst. Und ich freu mich wie ein kleines Kind darauf!
Völlig klar übrigens, dass ich genauso gut auch dem Osterhasen schreiben könnte oder dem Nikolaus, aber jetzt schreib ich nunmal gerade Dir. Ach, und wenn ich Dir schon mal schreibe, dann möchte ich bei der Gelegenheit auch noch ein paar Wünsche loswerden. Ist doch OK, oder? Du kennst das ja schon. Hier also mein Wunschzettel:
Also, ich wünsche mir …
… dass ein Tatort wieder einfach ein guter Krimi sein darf und keine haltungs- und einstellungsverändernde Volkspädagogikveranstaltung mehr ist.
… dass in den Tagesthemen und im heute journal wieder Nachrichten gesendet werden und meine Zeit nicht mehr mit den völlig irrelevanten persönlichen Meinungen von Journalisten verschwendet wird.
… dass Fußballspiele wieder Sport sind und keine politischen Demonstrationen. Ich will keine ständigen Kampagnen von Vereinen und Nationalmannschaften gegen Rassismus, gegen Drogen oder für türkische Feldzüge mehr sehen müssen.
… dass die Spalter in der Politik aufhören, die Gesellschaft auseinanderzutreiben, dass also Politiker aufhören ganz links und ganz rechts positionierte, aber eben dennoch demokratisch gewählte Parteien als antidemokratisch zu bezeichnen, vor allem um keine Kompromisse mit ihnen schließen zu müssen.
… dass Uli Hoeneß jetzt endlich seinen Ruhestand genießt, wie ich es ihm schon hier empfohlen habe.
… dass die Steuern- und Abgabenlast sinkt. Das ist ein sehr alter Wunsch und heute leider sehr old school. Ich weiß, den hast du schon so oft gehört. Aber da kein Politiker ihn jemals erfüllen wird, muss es dann eben der Weihnachtsmann tun.
… dass die Briten in Ruhe und Frieden aus der EU ausscheiden dürfen, wenn sie das nunmal möchten, und dass wir Restunioner uns lieber darauf konzentrieren, den Briten die Hand zu reichen für eine wunderbare Freundschaft unter Europäern. Und wenn wir auf Freiwilligkeit und Attraktivität statt auf Zwang setzen, wer weiß, vielleicht kommen sie dann ja irgendwann wieder.
… dass nicht mehr so hysterisch darüber diskutiert wird, ob der Klimawandel nun katastrophal ist oder nicht, ob er nun menschengemacht ist oder nicht, ob morgen die Welt untergeht oder nicht. Diese in sich drehende Spirale geht mir auf den Wecker, wobei die Klima-Katastrophisten genauso übel sind wie diejenigen, die nichts davon glauben wollen. Ich wünsche mir, dass wir uns stattdessen beispielsweise darauf konzentrieren, klimaverträgliche Produkte herzustellen und zu kaufen, die die alten klimaschädlichen Produkte ablösen.
… ein Buch. Aber nicht für mich, sondern für den Wirtschaftsminister. Und zwar ein Buch über die verheerenden Folgen der Zentralplanungswirtschaft. Vielleicht ein historischer Roman, der liest sich flüssiger. Der Wirtschaftsminister sollte nämlich dringend mal so etwas lesen!
… dass der fatale Hang zum Autoritären in unserer Gesellschaft endlich schwächer wird.
… und das die die Neuauflage meines neue Buches viele Leser findet 😉
Dein sonst wunschlos glücklicher Kunde
Lars Vollmer
Die nächste Ausgabe von »Vollmers Waschtag« erscheint spätestens wieder in einem Monat. Wenn Sie über das Erscheinen informiert werden möchten, so melden Sie sich bitte hier unten mit Ihrer E-Mail Adresse zu der Benachrichtigungsliste an – Sie erhalten dann bei jeder Ausgabe einen kurzen Hinweis.
Katrin Streeck
6. Dezember 2019 at 10:41Lieber Herr Vollmer, Sie und der Weihnachtsmann sind wirklich die Männer, die ich echt toll finde. Ich denke, dass Ihr unter Männern auch viel offener redet, ohne Gezicke und so! Und der alte Herr verkraftet Kritik schon, da bin ich mir gewiss. Für die Rentiere müssen wir was machen, das stimmt. Hat Rudolf nicht auch eine Dauererkältung, wegen der roten Nase? Und Plastikspielzeug gehört, wenn es ausgelutscht ist, in keines der Meere! Haibabys und kleine Delfine spielen nur unter sich und mit kleinen Fischen. Sagt meine Nichte, die ist Meeresbiologin.
Ach Mensch, es gibt weiterhin so viel zu tun! Ich bin bereit für entsprechende Demos, Petitionen und Sitzstreiks an Glühweinständen auf dem Weihnachtsmarkt.
Ich hoffe, ich höre und lese wieder von Ihnen, auch auf LinkedIn!
Liebe Grüße und frohes Fest
Katrin Streeck