Offener Brief an Jens Spahn
Lieber Herr Spahn,
Sie haben sich in dem gerade verblichenen Sommer für die allgemein verbindliche Verpflichtung zur Organspende eingesetzt. Das hat mich auf den ersten Blick gewundert, auf den zweiten Blick entsetzt, auf den dritten Blick verstehe ich Sie dann wieder ganz gut, bin aber peinlich berührt.
Aber jetzt will ich es doch einmal von Ihnen selbst wissen: Ist das nicht ein unangenehmes Gefühl, von der Bevölkerungsmehrheit mit einem Beherrschungsauftrag instrumentalisiert zu werden? Lassen Sie sich so einfach benutzen? Rührt sich da nicht der Stolz in Ihnen? Lassen Sie es sich gefallen, von Leuten vor den Karren gespannt zu werden, die vor allem eines ausdrücklich wollen: Freiheit einschränken?
Ausgerechnet das: Freiheit einschränken! Ist denn nicht Freiheit einer der drei Grundwerte Ihrer Partei? Und verstoßen Sie mit Ihrer Organspendezwangsinitiative nicht auch noch zu allem Überfluss gegen die anderen beiden Grundwerte, nämlich Solidarität und Gerechtigkeit?
Warum, in Adenauers Namen, frönen Sie derart offensichtlich dem Paternalismus? Natürlich verstehe ich schon den naheliegenden Grund, ich kann das nachvollziehen. Sie schränken die Freiheit des Einzelnen, selbst zu entscheiden, ob er seine Organe als Spende zur Verfügung stellen will, schlichtweg deshalb ein, weil es die Mehrheit der Bevölkerung so will. Und wenn Sie machen, was die Mehrheit so will, dann sind Sie der, der zuhört und sich aktiv zeigt im Namen des Guten: Damit können Sie ein paar Prozentpunkte mehr von der Gunst der Wähler gewinnen. Und die Gunst der Wähler ist Ihr Grundkapital als Berufspolitiker in einer repräsentativen Demokratie − auch oder gerade nach Ihrer Niederlage um den Parteivorsitz Anfang Dezember. Verstehe ich schon – dagegen ist überhaupt nichts zu sagen und darum beschwere ich mich darüber auch nicht.
Ich verstehe auch, warum die Mehrheit der Bevölkerung in diesem Punkt lieber gerne weniger Freiheit hätte: Sie findet Organspende gut (wer fände das nicht!), also moralisch richtig. Nur möchte sie dann auch noch zum Gesetz machen, was sie für richtig hält, damit Unrecht wird, was sie für falsch hält. Wer selbst nicht frei entscheiden will, kann so verhindern, dass sich andere diese Freiheit herausnehmen. Ganz schön praktisch! Ganz schön unverschämt!
Dabei will ich klarstellen: Für mehr Organe auf dem Spendermarkt zu sorgen, halte ich wie Sie für etwas uneingeschränkt Positives. Aber der paternalistische Weg, den Sie da gehen, ist eben auch mit einer dramatischen Einschränkung der Freiheit verbunden. Das Recht, über den eigenen Körper frei entscheiden zu dürfen, auch über den Tod hinaus, ist eines der grundlegendsten Freiheitsrechte überhaupt. Das wissen Sie doch. Da legt man doch nicht mal so eben Hand an!
Nur mal unter uns: Mit meiner Stimme können sie dann nicht mehr rechnen, unabhängig davon, dass ich Sie in dieser Parteienrepublik sowieso nicht direkt wählen kann. Denn ich halte diesen staatlichen Eingriff in meine individuelle Freiheit nicht nur für unzulässig, sondern auch für völlig überzogen. Und dabei ist es mir egal, ob das die Mehrheit der Bevölkerung anders sieht oder nicht. Bürgerliche Freiheitsrechte sind nämlich Abwehrrechte gegen den Staat, keine Frage von Mehrheiten. Einschränkungen von Grundrechten können Sie jedenfalls nicht unter dem Banner der Gerechtigkeit verkaufen. Mir jedenfalls werden Sie so nicht gerecht.
Ich habe übrigens einen Spendeausweis. Also: Inhaltlich will ich das auch. Organspende halte ich persönlich für eine gute Sache. Keineswegs finde ich den Tod auch nur eines einzigen Menschen, der auf der Warteliste für Spenderorgane steht, akzeptabel. Ich will gerne helfen. Aber zwingen Sie mich gefälligst nicht!
Das ist wirklich ärgerlich: Bisher habe ich mich gut damit gefühlt, einen Organspendeausweis bei mir zu tragen. Solidarität ist auch für mich ein hoher Wert. Wenn Sie das jetzt aber durchsetzen, dann bin ich in Sachen Organspende plötzlich nicht mehr solidarisch, sondern folge nur noch einem Zwang. Solidarität ist nämlich, und da erzähle ich Ihnen nichts Neues, grundsätzlich und prinzipiell eine freiwillige Angelegenheit. Sonst heißt es Zwang. Und Zwang ist mir zuwider. Das fühlt sich wie entmündigt an. Und ja: Das ist ja auch eine Entmündigung!
Außerdem ist das mein Körper. Und verdammt nochmal, der geht Sie nichts an! Sie können mir gerne ein Lob aussprechen für meinen Körper. Aber sonst halten Sie sich gefälligst davon fern!
Normalerweise sagen das ja immer nur Frauen und die meinen dann ihren Körper gleich inklusive allem, was drin ist, aber jetzt sag ich das mal: Mein Körper gehört mir!
Also, was fällt ihnen eigentlich ein?
Und ja, ich werfe Ihnen das nicht persönlich vor, sondern ich spreche Sie als Repräsentant und Amtsträger des Staates an. Da gäbe es auch noch eine ganze Reihe weiterer Paternalisten, die ich mir genauso vorknöpfen könnte, aber jetzt schreibe ich eben gerade Ihnen.
Von Ihnen will ich jetzt eigentlich nur noch wissen: Sind Sie sich jenseits des Stimmenfangs denn bewusst, in welch verzwickte moralische Zwickmühle Sie sich mit dieser Gesetzesinitiative hineinmanövrieren?
Ich würde mir wünschen, dass Sie die Freiheit des Einzelnen eher ausbauen als eingrenzen. Dass Sie lieber über technische Lösungen nachdenken, damit Organspendefälle in den Krankenhäusern wirklich erkannt werden. Damit steht es nicht zum Besten, wie man lesen kann. Und dass Sie denen helfen, die sich aus freien Stücken zur Organspende entschlossen haben, damit ihre spendefähigen Organe nach ihrem Hirntod auch wirklich entnommen werden und wirklich ein passender Organsuchender dafür gefunden wird.
Ich bin ja kein Experte für Organspende und kein Mediziner. Aber staatlicher Zwang kann doch nicht die einzige Möglichkeit sein, die Zahl der Spenderorgane zu erhöhen! Ich kann mich wirklich nicht erinnern, mit Informationen über Organspende bombardiert worden zu sein. Warum kriege ich das nicht mit? Kann es sein, dass Sie den Weg der Aufklärung der Bevölkerung in Sachen Organspende noch lange nicht ausgereizt haben?
Kann es also sein, dass es noch jede Menge zu tun gäbe, um die Zahl der Spenderorgane zu erhöhen, und dass darum Ihr Vorstoß, gleich fundamentalste Freiheitsrechte einzuschränken, bei Lichte und unter Einfluss der Vernunft betrachtet, völlig überzogen ist?
Keineswegs maße ich mir an, Ihnen zu sagen, was Sie tun sollen. Allerdings bitte ich Sie: Geben sie doch nicht so schnell und leichtfertig dem Drang des Wahlvolks nach, das offensichtlich gerne die Verantwortung über solche schwerwiegenden ethischen Entscheidungen abwälzen möchte.
Sie dürfen den Menschen die Verantwortung, die sie Ihnen rüberschieben wollen, lassen. Sie können es ihnen zumuten. Nehmen Sie ihnen die Verantwortung nicht ab! Weisen Sie sie zurück! Die Verantwortung für den eigenen Körper ist die Verantwortung des einzelnen Menschen. Nicht die des Staates! Lassen Sie die Bürger mündig sein und geben sie deren Wunsch nach Unmündigkeit nicht auch noch nach! (Und enthalten Sie sich bitte darüber hinaus für alle Zeiten der Klage, die Bürger seien unmündig!)
Dass die Menschen so gerne beherrscht werden wollen und so ungern ihre Geschicke in die eigene Hand nehmen, ist nicht Ihre Schuld. Aber auch wenn Sie nicht Teil des Problems sind, sind Sie vielleicht Teil der Lösung: Also, lassen Sie sich nicht einspannen!
Und wenn Sie bei diesem Thema die Kurve weg vom Paternalismus und hin zur Verantwortungsgesellschaft womöglich nicht mehr kriegen. Wenn Sie sich in dieser Frage schon zu weit im Namen der Unfreiheit aus dem Fenster gelehnt haben. Wenn Sie die christdemokratischen Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit in Sachen Organspende schon auf dem Altar der Wählerstimmen geopfert haben und es kein Zurück mehr gibt. Dann bitte beim nächsten Mal! Herr Spahn, beherrschen Sie sich!
Ihr leider oft zu beherrschter
Die nächste Ausgabe von »Vollmers Waschtag« erscheint spätestens wieder in einem Monat. Wenn Sie über das Erscheinen informiert werden möchten, so melden Sie sich bitte hier unten mit Ihrer E-Mail Adresse zu der Benachrichtigungsliste an – Sie erhalten dann bei jeder Ausgabe einen kurzen Hinweis.
mw
17. Dezember 2018 at 09:54Lieber Lars Vollmer,
Sie haben mir aus der Seele gesprochen, so schön hätte ich das nicht formulieren können,
Wenn wir schon dabei sind: Wenn meine Freiheit eingeschränkt wird, werde ich bockig. Und wenn sich Herr Spahn durchsetzt, werde ich meinen Spenderausweis vernichten und der Spende widersprechen, weil ich mich in meiner freien Entscheidung bevormundet sehe. Das ist schlecht für die Patienten, die auf ein Organ sehnlichst warten. Noch kann Herr Spahn das ja verhindern.
M.Sp.
17. Dezember 2018 at 11:11Täusche ich mich, oder muss ich nur rechtzeitig widersprechen?
Dieses Recht und diese Freiheit habe ich und wenn heute ein Gehirntoter zustimmen würde, der sich nicht vorher dazu entschieden hat, kann er nicht mehr gefragt werden. Er ist ja quasi nicht mehr unter uns – also mit seinem Bewusstsein. Das sollen dann die Angehörigen entscheiden, na vielen Dank!
Es wird ja auch gesetzlich vererbt, wenn ich nicht per Testament widerspreche. Also vererbe ich, wenn möglich und erforderlich, Teile meines Körpers, der mir zum bewussten Leben nichts mehr nützt. Wenn es einem kranken Menschen hilft ist mir das mehr Wert als jeglicher Egoismus.
Ich verstehe die Kritik nicht, behalte meinen Organspendeausweis und fühle mich weiterhin frei!
Thomas Paulick
17. Dezember 2018 at 12:49Lieber Lars Vollmer,
Vor vielen Jahren hatten ein paar mutige Männer und Frauen die allgemeine Schulpflicht eingeführt, eine Freiheitseinschränkung, die Ihresgleichen sucht. Ich bin noch heute dafür dankbar, denn meine Kinder werden davon profitieren. Sie haben übrigens nicht die Möglichkeit des Widerspruchs, die ja der Gesetzentwurf von Herrn Spahn ausdrücklich vorsieht.
Unzählige Kranke könnten von dieser Umkehrung des Verfahrens profitieren. Da die Massen, zumal in Deutschland, eher zur Trägheit neigen, erscheint mir diese Vorgehensweise in diesem speziellen Fall durchaus die Richtige. Freut mich aber, wenn es wachsame Menschen wie Sie gibt, die das diskutieren.
uh
17. Dezember 2018 at 14:43wer in dem Thematik ein wenig tiefer drin ist weiss, dass weder die sog. doppelte Widerspruchslösung noch die bisherige Zustimungslösung das Problem der Organspende ist. Es gibt schlicht und einfach vieeeel zu viel Krankenhäuser die gar nicht entnehmen oder transportieren können (aus vielfältigen gründen). Sei es wie es will ich bin voll auf Lars‘ Standpunkt. Hört bitte alle auf mich zu bevormunden mit welchen stimmigen oder auch unstimmigen Argumenten. (Man könnte zum Beispel auch alle über 55 Jahren oder anderen Kriterien aussortieren und ausschlachten, würde bestimmt ner Menge anderen helfen…)
st
17. Dezember 2018 at 17:37https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/96252/Krankenhaeuser-koennten-die-Zahl-der-Organspenden-massgeblich-steigern
… wenn ich diesen Artikel lese und auch einem Bericht im TV Glauben schenke, müsste man nicht erst hier Abhilfe schaffen, bevor man (Spahn) sich ein lebendes Ersatzteillager anschafft? Oder ist es einfacher für die Entnahmekrankenhäuser zu entscheiden: Heute keine Zeit, den lassen wir ganz, morgen kommt eh wieder einer rein?
Ich bin verwirrt.
Jedoch haben sie, Herr Vollmer meine Sichtweise auf (nicht nur) dieses Thema geändert, besser gesagt, mein Interesse geweckt. Vielen Dank dafür.